Der Teppich.

Alles begann damit, dass ich mir einen Teppich kaufen wollte. Ich hatte in meinem Wohnzimmer den bemerkenswert scheußlichen Teppichboden des Vorbesitzers herausgerissen und den Holzfußboden darunter freigelegt. Ich hatte ihn geschrubbt, gebohnert und poliert, und jetzt fehlte nur noch der richtige Teppich.
Tatsächlich hatte ich mich schon fast für einen bestimmten Teppich entschieden und sogar die 480 Euro, die er kosten sollte, von der Bank geholt – Bargeld deswegen, weil in dem Laden, wo ich ihn kaufen wollte, grundsätzlich ?Kartenzahlung heute leider nicht möglich' ist.
An diesem Sonntag lag das Geld aber noch in meiner Schublade, weil ich den Teppich am Sonnabend dann doch nicht gekauft hatte. Irgend etwas hatte mich davon abgehalten. Was genau es war, darüber war ich mir selbst nicht so ganz im klaren, und ich habe es auch nie herausgefunden, denn an diesem Nachmittag klingelte es an meiner Tür.

Es klingelt also, ich öffne die Wohnungstür, und im Treppenhaus steht ein Mann in einem langen orientalischen Gewand. Er trägt einen säuberlich gestutzten Bart und, ja, tatsächlich auch einen blütenweißen Turban. Neben sich gegen die Wand gelehnt hat er einen zusammengerollten Teppich. Den möchte er mir verkaufen.
Nun kaufe ich grundsätzlich nie etwas an der Tür, und schon gar nichts von irgendwelchen fliegenden Teppichhändlern. Aber bevor ich ihm das sagen kann, hat er den Teppich schon halb ausgerollt, und meine Grundsätze geraten ins Wanken. Denn dieser Teppich ist wirklich genau so, wie ich ihn mir gewünscht habe: Die Farben, das Muster, der Stil, alles passt, und sogar die Größe stimmt...
Während ich den Teppich betrachte und mir langsam immer besser vorstellen kann, ihn tatsächlich zu kaufen, gibt sein Besitzer mir verschiedene Informationen. Demnach ist er allerfeinste Handarbeit, aus ganz besonderer Wolle, entworfen und hergestellt von Berberdesignern (oder Designerberbern?) mit Jahrhunderte alter Erfahrung, ein ganz besonderes Einzelstück. Es ist nicht immer ganz leicht, den Mann zu verstehen, denn obwohl sein Deutsch sehr gut ist, spricht er die halbe Zeit Arabisch – nehme ich jedenfalls an: Sein Ausländisch klingt so, wie ich mir Arabisch vorstelle.
Ich gehe davon aus, dass seine Angaben stimmen könnten, aber nicht unbedingt stimmen müssen. Egal. Der Teppich gefällt mir. Und was soll er kosten? 360 Euro. Das entscheidet die Sache. Auch wenn das hier kein Designerberber-Einzelstück ist, so viel ist der Teppich auf jeden Fall wert.
Also kaufe ich ihn dem Mann ab, für 360 Euro in bar. Er trägt mir den Teppich noch ins Wohnzimmer und zieht zum Abschied einen Zettel aus der Tasche, den er mir überreicht. Angeblich sind das irgendein Zertifikat und die Gebrauchsanweisung. Eine Gebrauchsanweisung für einen Teppich? Wie auch immer, ich kann den Schrieb sowieso nicht lesen, denn er ist in Arabisch (nehme ich zumindest an, siehe oben).

Nachdem der Mann gegangen ist, mache ich mich daran, die Möbel beiseite zu räumen, um den Teppich auszulegen. Es sind nicht viele, da er mitten im Raum liegen soll, das einzige gewichtige Stück ist der großen Ohrensessel. Dann rolle ich den Teppich aus. Ja, er gefällt mir wirklich. Ich bin froh, dass ich ihn gekauft habe.
Ich schiebe die Möbel noch nicht zurück, denn ich möchte mich noch etwas an meiner Neuerwerbung unverstellt erfreuen. Also gehe ich erst einmal in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Als ich mit dem Kaffeebecher wieder ins Wohnzimmer zurückkomme, ist der Teppich weg.
Völlig perplex starre ich auf den Fußboden. Genau dort lag eben noch der Teppich ... und jetzt?. Die Möbel stehen immer noch da, wo ich sie hingeräumt hatte, aber wo der Teppich liegen sollte, ist nichts – nur der blanke Holzfußboden. Habe ich mir den gesamten Teppichkauf nur eingebildet? Ich sehe nach: Die 360 Euro sind wirklich nicht mehr da. Hat der Mann mir einen Phantomteppich verkauft? Oder was ist hier geschehen?
Ratlos schiebe ich die Möbel wieder an ihre alten Plätze und lasse mich völlig zerdrückt in den Ohrensessel fallen. Ich trinke einen Schluck Kaffee und starre grübelnd gegen die Decke – und da ist er! Der Teppich. Das Ding schwebt über mir, direkt unter meiner Zimmerdecke. Der Mann hat mir einen echten Fliegenden Teppich verkauft!
Und was jetzt? Wie bringe ich ihn wieder auf den Boden zurück? Ich hole meine Leiter, packe eine Ecke des Teppichs und ziehe, aber ich schaffe es nicht, ihn auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Schließlich gebe ich es auf und räume die Leiter weg.
Ich trinke meinen Kaffee aus und frage mich, was ich jetzt machen soll. Da habe ich einen echten Fliegenden Teppich, und er hängt unter meiner Wohnzimmerdecke fest. Wenn er wenigstens dazu nütze wäre, die scheußliche Decke zu verbergen (der Vorbesitzer hat sie mit besonders grässlicher Rauhfaser beklebt), aber nein – ich blicke auf seine unansehnliche Unterseite. Und eine Gebrauchsanweisung habe ich zwar, aber die ist in Arabisch...

© P. Warmann