Es ist wenig bekannt, aber in einer bedeutenden deutschen Großstadt materialisieren sich seit inzwischen mehr als zweihundert Jahren Teile einer außerirdischen Wirklichkeit. Damit sind nicht jene Phänomene gemeint, die nach kurzzeitigen, zufälligen Überschneidungen zweier Realitätsebenen überall stattfinden können. Meist findet dann irgendwer ganz hinten in einer Schublade ein irgendwie unvollständig wirkendes Teil von undefinierbarer Funktion, bei dem er sich nicht erinnern kann, es jemals vorher gesehen zu haben. Außerdem fehlt in derselben Wohnung vollkommen unerklärlicherweise ein Socken. Ich werde noch darauf zurückkommen.
Solche Phänomene sind also weit verbreitet und treten nach Ort und Zeitpunkt
vollkommen zufällig auf. Hier aber handelt es sich um etwas völlig
anderes. Seit längerer Zeit materialisieren im Stadtgebiet immer wieder
erhebliche Teile jener anderen Wirklichkeit, darunter vollständige Gebäude.
Ein vermutlicher Tempel der außerirdischen Fremden zum Beispiel erschien
in einer größeren Grünanlage. Nach Überlegungen, ihn
als Wasserturm (!) zu nutzen, machte man schließlich ein Planetarium
daraus. Ein äußerst unheimlicher riesiger Klotz von einem Gebäude,
anscheinend eine Festung mit unzerstörbaren Mauern, tauchte in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts auf und wurde den Zeitumständen entsprechend
als Bunker genutzt. Alle diese Gebäude waren vollkommen leer und gaben
keine Hinweise auf ihre Erbauer.
Die Wissenschaft ist sich inzwischen sicher, dass sich der Realitätsraum,
den die Stadt einnimmt, mit einer isolierten, wahrscheinlich künstlich
geschaffenen Ebene einer anderen Wirklichkeit überschneidet. Wahrscheinlich
ist diese defekt und wurde geräumt, aber nicht ordnungsgemäß
de-realisiert.
Was uns wieder zu verschwundenen Socken und unerklärlich auftauchenden
Dingen bringt. Wenn Teile einer fremden Wirklichkeit in unsere eindringen,
werden sie normalerweise nicht einfach von dort nach hier versetzt. Jede Realitätsebene
ist voll und ganz mit der dort herrschenden Wirklichkeit angefüllt und
bietet keine Lücken, in die etwas hineingleiten könnte. Statt dessen
kommt es dazu, dass zwei Gegenstände, die sich zufällig an sich
entsprechnden Orten befinden, sich überlagern, woraufhin ihre Wellenformen
(komplexe mathematische Formeln, die jeden Gegenstand vollständig beschreiben)
sich miteinander verrechnen. Im Beispiel oben wären das der Socken und
sein anti-reales Gegenstück. Das Ergebnis ist meist durchaus materiell
und auf unserer Ebene (ebenso wie übrigens das entsprechende Teil
auf der anderen) absolut existenzfähig, aber vollkommen sinnlos. Gelänge
es allerdings, aus dem hier entstandenen Ding den Socken herauszurechnen,
hätten wir die Wellenform-Beschreibung eines außerirdischen Artefakts;
in dieser Richtung wird geforscht
.
In der Stadt ist die Situation allerdings eine etwas andere. Hier finden die
Wellenform-Überlagerungen kontinuierlich und auf eine sehr viel intensivere
Art statt, bei der entweder die eine oder die andere Realität die Oberhand
behält. Zum Glück bleibt in den meisten Fällen die hiesige
Wirklichkeit fast unverändert erhalten, bis auf unbedeutende Merkmale
wie Farbe, Geschmack oder Löslichkeit (was allerdings schon zu blauen
Feuerwehrfahrzeugen, sehr eigenartig schmeckendem Kaffee und löslichen
Löffeln geführt hat). Überwiegt die andere Realität, erscheinen
normalerweise nutzbare Objekte wie die beschriebenen Gebäude. Und regelmäßig
kommt es auch zu einer Vermischung der Wellenformen von fremden Realitätsteilen
mit dem die Stadt durchfließenden Fluss, was dazu führt, dass dieser
wirklich ungewöhnliches Sediment ablagert.
© P. Warmann