Es war ein ganz gewöhnlicher Mittwochvormittag, als es an meiner Wohnungstür
klingelte. Ich machte auf und sah erst einmal niemanden. Das lag daran, dass
es auf Augenhöhe auch niemanden zu sehen gab. Ich musste meinen Blick
deutlich tiefer richten, und da stand er dann.
Der Typ war höchstens einen Meter groß. Er hatte einen weißen
Backenbart, trug eine Art blauer Uniform und so etwas wie eine Zipfelmützenkappe.
Außerdem schleppte er einen riesigen Sack mit sich herum.
Guten Morgen, sagte er mit einer ziemlich knärzenden Stimme.
Ich komme von den Stadtwerken. Könnten Sie mir die Kellertür
aufschließen?
Klar kann ich, gab ich zur Antwort und griff mir mein Schlüsselbund.
Während wir die Treppe hinunterstiegen, bemerkte er: Ich habe einen
Schlüssel, aber aus irgendwelchen Gründen passt er nicht."
Das kann schon sein, meinte ich. Nachdem diese Vandalen
im Keller gehaust hatten, hat die Hausverwaltung endlich ein ordentliches
Schloss einbauen lassen.
Der Keller wurde aufgebrochen? Er klang richtig besorgt. Was
haben die angerichtet?
Das war schon seltsam. Im Fahrradraum haben sie alles durcheinandergeworfen,
aber geklaut haben sie nichts. Dann haben sie einen leerstehenden Keller mit
leeren Kartons gefüllt die müssen sie extra mitgebracht haben
und Tod den Dohlen an die Wand geschmiert. Außerdem
haben sie Gießharz in die Stromzähler gegossen. Deshalb war übrigens
ein Trupp vom Elektrizitätswerk hier. Gab jede Menge Ärger.
Typisch, grummelte der Gnom. Die wissen bescheid, aber unserer
Abteilung sagt natürlich keiner etwas. Wir sind denen einfach zu klein.
Inzwischen waren wir unten angekommen, und ich schloss die graue Stahltür
auf. Er sah sich um und steuerte dann den hintersten Winkel des Kellers an.
Ich ging mit, weil mich interessierte, was er eigentlich hier wollte.
Sein Ziel war eine Tür, die neben dem Fernwärmeraum lag. Sie war
mir nie aufgefallen es stand nicht einmal Zutritt verboten
darauf.
Kaum sah der Gnom die Tür, da kreischte er los. Aufgebrochen! Da
haben wirs! Er packte die Klinke, und die Tür ging widerstandslos
auf.
Ich spähte hinein. Der Raum war klein und voller Rohre, aber die Rohre
waren aus Glas. In den Rohren floss kein Wasser, sondern so etwas wie bunte,
schillernde Seifenblasen, große und kleine.
Was in aller Welt ist das? brachte ich heraus.
Eine Traumquelle. Er sah, dass ich nichts begriff. Ja, ja,
darüber macht sich niemand Gedanken. Man erwartet, dass man träumen
kann, so viel man will, aber niemand fragt sich, woher die Rohstoffe dafür
kommen. Die hier wurde erschlossen, als das Haus 1908 gebaut wurde. Seitdem
stellen wir damit die Traumversorgung für 140000 Menschen sicher!
Er ging zu dem dicksten der Rohre, das aus dem Boden kam, und sah es sich
genauer an. Dann kreischte er: Ich wusste es, ich wusste es! Diese Idioten
haben die Drosselklappe ausgehebelt!
Er wühlte in seinem Sack und brachte etwas zum Vorschein, das wie ein
Ersatzteil aus Glas aussah. Dann zog er noch eine Zange aus dem Sack und machte
sich an die Arbeit.
Ich weiß nicht, sagte ich leicht benommen, sollte
man Träume wirklich kanalisieren?
Ach ja, das höre ich dauernd. Aber sagen Sie mir mal, wie man sonst
eine flächendeckende Traumversorgung gewährleisten soll. Wir können
in dieser Stadt ein Kontingent von acht Träumen pro Einwohner und Nacht
bereitstellen das ist weit über dem Bundesdurchschnitt, der liegt
bei sechseinhalb. Er klang ziemlich stolz. Ich erinnere mich mit
Grausen an die alten Zeiten, als wir noch nicht an die Stadtwerke angeschlossen
waren. Jede Nacht waren wir unterwegs, um die Zisternen in den Städten
zu füllen. Und diese grässlichen Sandfilter, die dauernd durchgespült
und neu gefüllt werden mussten! Ich habe ständig eine Sandspur hinter
mir hergezogen.
Er schüttelte den Kopf. Aber Technik ist auch nicht alles. In Berlin
können sie den Traumbedarf kaum noch decken die schaffen gerade
noch zwei Träume pro Mensch und Nacht. Inzwischen überlegen sie
sogar, Traumreste zu sammeln und wieder aufzubereiten. Sie sagen, dass es
funktioniert, aber lassen Sie sich von denen keinen Sand in die Augen streuen.
Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu. Das aufgearbeitete
Zeug hat einen Alptraumanteil von 40 Prozent, und der höchstzulässige
Grenzwert liegt bei 12,5.
Er klopfte sich die Hände an der Hose ab. So, fertig. Ich wechsle
noch das Schloss hier aus, dann können Sie den Keller hinter mir abschließen.
Das tat ich auch und sah ihm nach, wie er sich mit seinem Sack davonmachte.
Später bin ich noch einmal in den Keller gegangen, aber die seltsame
Tür war abgeschlossen. Inzwischen frage ich mich, ob ich das Ganze vielleicht
nur geträumt habe.
© P. Warmann