Stylisch.

Sie begrüßt mich vor ihrem Haus. Ich schlage die Wagentür zu und gebe ihr einen Kuss auf die Wange – mit Abstand, guter Bekannter, aber es läuft nichts zwischen uns.
„Das ist es also“, sagt sie mit einem Lächeln. „Endlich ein eigenes Haus! Was sagst du dazu?“
Ich sage erstmal gar nichts und sehe auf zwei Stockwerke glatte Betonmauer ohne Fenster, nur mit einer doppelt breiten Garagentür. Das Haus ist schmal, das Grundstück nicht viel breiter, und die Bauweise scheint in dieser Gegend Standard zu sein. Die Häuser rundum sehen nicht viel anders aus.
„Von vorne wirkt es etwas abweisend“, erklärt sie, „aber nach hinten raus ist es ganz anders. Komm mit!“
Sie führt mich einen schmalen Pfad am Haus entlang, an der Haustür vorbei, und dann öffnet sich vor uns der Garten, und ich sehe, was sie gemeint hat. Die ganze Rückseite des Hauses ist eine einzige Glaswand, hoch bis zum Dach, und der hintere Teil der Seitenwände ebenfalls. Ich hebe anerkennend die Augenbrauen. „Macht was her“, sage ich.
Sie strahlt. „Jetzt zeige ich dir den Garten“, ruft sie fröhlich. „Ich habe sogar einen Gartenteich, nicht zu vergleichen mit deinem, aber immerhin... Komm!“
Sie führt mich an das hinterste Ende des Gartens, zu einem kleinen Teich mit Riedgras, das im kalten Frühlingswind raschelt. „Pst!“ sagt sie. „Hörst du?“
Ich höre wirklich etwas, lauter als das Rascheln der Gräser. Nicht Froschgequake, wie ich es erwartet hätte, sondern etwas leiseres, melodisches, wie ferne Glocken oder ein leises Tuten.
„Ich habe mir ein Unken-Abo geleistet“, erklärt sie strahlend. „Echte, zertifizierte Bio-Unken. Klingt hübsch, nicht wahr?“
Da kann ich ihr nur zustimmen. „Meine Frösche sind lauter“, gebe ich zu. „Und es sind auch nur einfache Gratis-Frösche aus der freien Natur. So etwas edles wie du habe ich nicht.“
Sie lacht. „Ich habe eine Menge Geld in den Garten gesteckt und ihn sorgfältig durchstylen lassen. Obwohl ... ich wollte unbedingt auch ein Stück Wiese.“ Sie zeigt auf etwas, das eher wie ein Grasbeet aussieht als wie eine Wiese, und fährt verlegen fort: „Natürlich ist Windbestäubung eigentlich mega-out, man sollte ja Rücksicht auf die Pollenallergiker nehmen. Statt dessen hat man heutzutage weite Flächen mit weißen Kieseln, aber ich weiß nicht, ich finde, ein Garten sollte doch eher auch Pflanzen enthalten. Und hier sind dann die Blumenbeete.“
„Hm“, sage ich. „Blüht hier alles grau?“ Ich sehe perlgraue Tulpen, dunkelgraue Narzissen und Krokusse in Silbergrau, Blaugrau und Bleigrau.
Sie grinst. „Ist doch die Trendfarbe im Moment, und ehrlich, diese grellen bunten Farben wirken doch immer etwas prollig.“ Sie betrachtet die Blätter einer Tulpe und runzelt die Stirn. „Findest du, das Grün ist zu grün?“
„Nein“, meine ich leicht sarkastisch, „ich denke, es ist gerade richtig grün.“
Sie nickt beruhigt, und ich gehe in die Knie und sehe mir eine Narzisse an, in leicht schmutzigem Hellgrau mit hellgelber Mitte. „Erinnert mich irgendwie an ein Spiegelei, das zu lange an der Wand gehangen hat“, meine ich.
„Kann man ein Spiegelei an die Wand hängen?“ fragt sie verblüfft.
„Frage Herrn Dalí“, meine ich, und wir müssen beide lächeln, denn unser Interesse an surrealistischer Kunst ist etwas, das uns verbindet. So haben wir uns übrigens auch kennen gelernt, vor etwa zwei Jahren: in einer Galerie – sie war dort gewesen, um sich die Ausstellung anzusehen, und ich, um mit der Galeristin etwas Geschäftliches zu besprechen. Wir waren ins Gespräch gekommen, und es hatte mich fasziniert, dass sie ein wandelndes Stil-, Mode- und Designlexikon war. Seltsamerweise lief zwischen uns sonst nichts, was für mich eher ungewöhnlich war, aber wir trafen uns alle paar Wochen, zum Essen, bei Vernissagen oder anderen Kunstevents, und ich lauschte ihren Ausführungen über Trends und Moden, fasziniert von diesen Einblicken in eine mir ansonsten absolut fremde Welt.
Sie sieht mich an. „Also, wie gefällt dir der Garten?“
„Sehr schön, sehr stylisch, aber für meinen Geschmack etwas zu farblos.“
Sie lacht. „Dein Geschmack tendiert aber auch nicht gerade in Richtung knallbunt.“
Da hat sie Recht. Bei meinen Klamotten wähle ich normalerweise zielsicher verschiedene Schattierungen von Schwarz, und mein Haus mit seinen Wandtäfelungen, Böden und Möbeln zeigt verschiedene Hölzer, naturfarbenes Leder und Stoffe in eher gedämpften Tönen. Allerdings kein Grau.
„Sieh mal, etwas Farbe habe ich mir aber doch gegönnt,“ sagt sie und zeigt auf eine hellblaue Biene, die um die Blüten schwirrt. Dann fällt mir eine zweite auf, in zartem Himbeerrot, dann eine dottergelbe und eine zartgrüne. „Das sind Designerbienen, in 28 frischen Pastellfarben,“ erklärt sie. „Cool, nicht? Später im Jahr bekomme ich noch acht Sorten Markenschmetterlinge dazu. Sieh mal, die ersten sind schon geliefert worden.“
Sie zeigt auf etwas, das mir wie ein stinknormaler Kohlweißling vorkommt, aber wer bin ich, dass ich einen Markenschmetterling von irgendeinem No-Name-Insekt unterscheiden könnte? Eben.

Wir gehen zum Haus zurück, über den Gartenweg, der aus kleinen quadratischen Betonplatten besteht, die für mich wie aus der Billigabteilung vom Baustoffmarkt aussehen. Ein paar haben Risse und diese Krater, die der Frost gerne in sie hineinfrisst.
„Deine Wegplatten erinnern mich an meine Kindheit“, sage ich.
„Ja? Das ist echter Beton, eine postmoderne Anspielung auf die Bauweise der klassischen Moderne. War euer Haus in dem Stil gebaut?“
„Wie man es nimmt: Ich bin draußen in Moorkamp aufgewachsen. Hochhaussiedlung, Sichtbeton. Sozialwohnung.“
„Oh“, sagt sie, und dann bleibt sie plötzlich stehen. Sie starrt auf den Weg, leicht beunruhigt. „Was ist denn das?“
Ich sehe es mir an. „Das ist eine Ameisenstraße. Steig einfach darüber hinweg.“
Sie ist immer noch nicht beruhigt. „Dürfen die so einfach eine Straße durch meinen Garten bauen? Ich meine, ohne Genehmigung oder so?“
Ich muss lachen. „Das ist die Natur, Honey. Sie findet immer einen Weg.“
„Du hast gut lachen“, meint sie, „du mit deinem Naturgarten. Ich weiß nicht, mir wäre das unheimlich. Du hast doch keine Ahnung, was da alles wächst, das könnte doch giftig sein oder wer weiß was. Und jederzeit kann dich aus einem Busch heraus etwas anspringen – macht dir das keine Angst?“
„Du liebe Güte, das ist ein Garten mitten in Deutschland und nicht der Dschungel von Borneo! Da gibt es nichts, wovor man Angst haben müsste. Und außerdem mag ich es so.“ Und außerdem, denke ich, hat es seine Vorteile, wenn nicht dauernd Gärtner durch den Garten kriechen und an Stellen buddeln, wo sie es nicht sollten. Hinten, unter dem Brombeergestrüpp, liegen einige meiner Jugendsünden begraben, und ich möchte, dass sie sich dort in Frieden in Kompost verwandeln. Und hier und dort, an Stellen, die nur ich kenne, liegen andere Dinge, von denen ich entweder hoffe, dass ich sie nie wieder brauchen werde (aber man weiß ja nie) oder die ich erst wieder hervorholen werden, wenn Gras über die Sache gewachsen ist (wortwörtlich und im übertragenen Sinne).

„Jetzt zeige ich dir das Haus“, sagt sie und führt mich hinein. Ich stoße einen leisen Pfiff aus. Wirklich eindrucksvoll: Glaswände, zwei Stockwerke hoch bis zum Dach, das in seiner rückwärtigen Hälfte auch aus Glas besteht. Ein weiter Blick in den Garten. Das hier ist offensichtlich das Wohnzimmer – ich drehe mich um, und, ja, der hintere Teil des Raumes ist die Küche, vier oder fünf Stufen erhöht, wahrscheinlich, weil darunter die Garage liegt. Die Küchenzeile läuft an der ganzen hinteren Wand entlang, eingebaut und mit Holz verkleidet, davor ein langer, massiver Tisch mit zwölf Stühlen. Über der Küche ist eine weitere offene Ebene. Wahrscheinlich war da oben das Schlafzimmer.
„Cool“, sage ich, während ich mir die Küche aus der Nähe ansehe. „Hier ist viel Platz zum Spiegeleier braten.“
„Äh, ja“, meint sie leicht verlegen. „Obwohl ich die Küche eigentlich nie benutze ... sie ist für die Leute vom Catering, wenn ich Gäste habe. Ich weiß gar nicht, wie so ein Herd funktioniert... Weißt du, wie man Spiegeleier macht? Was braucht man dazu, eine Pfanne? In der Mikrowelle geht es nicht, oder?“
„Nein“, sage ich, „und ja, ich weiß, wie man es macht. Ich könnte es dir zeigen, vielleicht finden wir ja mal die Zeit dazu. Oder sieh doch im Netz nach, da findest du bestimmt eine interaktive Anleitung.“
„Gute Idee“, sagt sie, beäugt den Herd dabei aber so skeptisch, dass ich mir ziemlich sicher bin, sie wird sich auf das Abenteuer ‘Spiegelei’ nicht einlassen.
„Sag mal, wenn du die Küche nicht benutzt, wie machst du dir dann etwas zu essen?“ frage ich, als ich die Stufen ins Wohnzimmer wieder hinabsteige.
„Oh, morgens hole ich mir etwas auf dem Weg zur Bank, und mittags gehe ich natürlich essen. Abends habe ich entweder Gäste, oder ich bin eingeladen, oder ich nehme mir unterwegs etwas mit“, erklärt sie.
„Aha“, sage ich, und dann fällt mir etwas auf. In diesem Wohnzimmer gibt es einen niedrigen Tisch mit einer großen Holzschale darauf, eine Skulptur aus Bronze, ziemlich abstrakt – für mich sieht sie aus wie ein Mann, der mit einer Fahne winkt –, und eine schmale Stehlampe. Sonst nichts.
„Hat sich die Lieferung der Sessel verzögert?“ frage ich.
„Oh nein, das Zimmer ist fertig eingerichtet. Ich meine, wer sitzt denn heutzutage noch in einem Wohnzimmer – das ist doch sooo retro.“
„Aha“, sage ich, „und was machst du dann in diesem Raum?“
„Ich? Gar nichts. Hier unten ist alles für die Gäste, aber du weißt ja, nach dem Essen möchte niemand noch lange bleiben, man ist müde und will nach Hause. Der Gastgeber möchte auch ins Bett, also ist es kein guter Stil, sich noch in Sitzmöbel zu fläzen...“
„Ah ja“, sage ich und denke, dass also grob geschossen drei Viertel des umbauten Raums dieses Hauses nur dazu da waren, Besucher zu beeindrucken.
„Möchtest du auch das Schlafzimmer sehen?“ fragt sie.
„Aber unbedingt“, antworte ich.
Wir steigen die Treppe empor auf den Balkon über der Küche. Auf dem Treppenabsatz gibt es eine Tür, die wahrscheinlich ins Bad führt. Ansonsten ist hier oben ein einziger großer offener Raum, der über das Wohnzimmer ragt. Die Rückwand ist ein eingebauter riesiger Kleiderschrank, ansonsten gibt es noch ein breites Bett und einen winzigen Schreibtisch (ich halte ihn jedenfalls dafür, weil ihr Laptop darauf steht) mit Stuhl.
„Sag mal, wo setzt du dich eigentlich hin, wenn du mal gemütlich ein Buch lesen möchtest?“ will ich wissen.
„Oh, das ist wirklich ein Problem ... ich kann natürlich im Bett lesen ... aber eigentlich lese ich im Moment nicht viel. Das Problem ist, dass meine Bücher in Kisten bei meinen Eltern lagern, weil ich sie hier nicht unterbringen kann. Es ist unheimlich schwer, Bücher vernünftig in die Inneneinrichtung zu integrieren, sie sind so unruhig...“
„Genau deshalb gibt es Bücherschränke mit Türen.“
„Oh, Schränke mit Türen sind gefährlich. Ich meine, man weiß ja nie, was die Leute da reingestopft haben – du weißt schon, Messie-Alarm. Außerdem wüsste ich gar nicht, wo ich lose Schränke hinstellen sollte.“
Ich trete an die Brüstung und sehe nach unten. Als ich mich vorbeuge, spüre ich das Gewicht der Waffe in meinem Schulterhalfter. Sie hatte Recht, denke ich: Unten sind drei der Wände Fenster und die vierte Küche, und hier oben sind es dreimal Balkonbrüstung und einmal Kleiderschrank.
„Das ist genau der Grund, warum ich richtige Zimmer mit richtigen Wänden bevorzuge“, sage ich. „Und überhaupt: Ich bewundere wirklich, wie konsequent du diese Style-Geschichte durchgezogen hast, aber praktisch geht anders. Und gemütlich auch.“
„Ja, sicher“, sagt sie unglücklich. „Aber du kannst es dir auch leisten, auf Trends zu pfeifen, du bist eine so große Nummer im hiesigen organisierten Verbrechen...“
„Wir sind das unorganisierte Verbrechen“, unterbreche ich sie. „Vollkommen unorganisiert. Es gibt kein organisiertes Verbrechen in dieser Stadt, jedenfalls nicht, solange ich dazu noch irgendwas zu sagen habe.“
„Ja, gut“, sagt sie. „Aber ich meine, bei deiner Stellung und deinem Vermögen musst du niemandem mehr etwas beweisen, du kannst dir so etwas wie einen persönlichen Stil leisten. Ich weiß natürlich nicht, wieviel Geld du wirklich hast, aber manchmal denke ich, du könntest die halbe Bank kaufen...“
„Oh, mehr als die halbe. Inzwischen habe ich eine Mehrheitsbeteiligung an dem Laden, in dem du arbeitest, über verschiedene Strohleute natürlich. Schließlich möchte ich nicht, mit etwas so unseriösem wie einer Bank in Verbindung gebracht werden.
Aber da fällt mir etwas ein: Was hältst du davon, wenn ich dich in die obere Etage hieve? Es wäre wirklich nützlich, wenn wir in unserem Geldwaschinstitut jemanden im oberen Management hätten, der die Dinge von innen heraus kontrolliert, und du könntest dir in einer solchen Stellung endlich auch einen eigenen Stil zulegen. Hast du Interesse? Dann lass uns irgendwo etwas essen und die Sache besprechen.“

© P. Warmann