Seltsame Dinge.

Bei uns im Haus geschehen seltsame Dinge. Angefangen hat es mit den Vögeln. Irgendwann wachte ich morgens auf und hörte Vögel singen, die ich noch nie gehört hatte. Ich kenne das Tschilpen der Spatzen, Amselmelodien, völlig hektische Grünfinken, die Uh-uhu-uh-Tauben und was sonst noch piepst und singt, aber das hier war anders: Ein Flöten, sehr melodisch, aber irgendwie klang es gar nicht nach Vogel. Und irgendwie dann wieder doch.
Ich habe die neuen Sänger noch nie richtig gesehen, sie singen immer nur, wenn es noch fast dunkel ist, abends wie morgens. Aber sie sitzen auf der Dachkante über meinem Schlafzimmerfenster, und manchmal sehe ich sie von dort starten und über den Hof fliegen, schwarze Schatten gegen den gerade etwas helleren Himmel. Ein Freund hat sie auch gesehen und gemeint ‘Fledermäuse’, aber die haben sozusagen zackige Flügel und nicht sichelförmige. Außerdem singen sie nicht. Und kein Tier, weder Fledermaus noch Vogel, hat zwei Paar Flügel.

Das nächste merkwürdige war die Pflanze. Das Haus (ein Mietshaus aus der Kaiserzeit, mitten in der Stadt) hat einen ganz netten Hof, den wir vor einigen Jahren begrünt haben, mit ein paar Bäumen und einer Wand voll wildem Wein. In der einen Ecke rankte sich dann plötzlich etwas hoch. Die Pflanze sah gar nicht so merkwürdig aus, trotz der rosa und grün geringelten Ranken. Die Blätter haben eine gängige Form, oval mit Spitze, aber seltsam sind sie doch: Sie haben gar kein Skelett oder Gräten oder wie man das bei Pflanzen nennt, diese Rippen, die sich durch das Blatt ziehen. Nein, die Blätter sind eine einzige grüne Fläche.
Ich habe dann ein Blatt abgerissen, weil ich es rumzeigen wollte, ob jemand das Gewächs kennt, aber die Pflanze hat angefangen zu bluten. Es war bestimmt nur irgendein Milchsaft, aber er sah genau wie Blut aus. Ich war so erschrocken, dass ich das Blatt wieder da angedrückt habe, wo der Stängel durchgerissen war, wie ein Kind, das sein zerbrochenes Spielzeug heilen will, aber es ist tatsächlich angewachsen! Seitdem habe ich die Pflanze in Ruhe gelassen.
Inzwischen hat sie Früchte oder Schoten oder sowas, grün wie grüne Bohnen, aber so lang und so dick wie mein Finger und mit geraden Enden. Sie sind ziemlich durchsichtig, und innen ist eine Flüssigkeit, blau, würde ich sagen. Mal sehen, was daraus wird.

Dann passierte das mit meinem Kakao. Ich trinke ganz gerne diesen löslichen Kinderkakao, den man einfach in die Milch rührt, und hatte eine Packung stehen, die schon zu einem Drittel leer war. Dann bekomme ich nach längerer Zeit wieder Appetit auf das Zeug, mache die Packung auf, und im Kakao sind grüne Würfel. Etwas unregelmäßig, mit runden Kanten, und flachgedrückt, vielleicht einen halben Zentimeter Kantenlänge. Sie fühlten sich an wie Radiergummi, waren aber schwerer als Metall. Die waren mir bis dahin gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich hat die Abfüllmaschine verrückt gespielt. Ich habe also den Kakao in meine Milch gelöffelt, darauf geachtet, dass ich die Würfel nicht mitfasse, und er hat geschmeckt wie immer. Schlecht geworden ist mir auch nicht.
Also habe ich den Kakao weiter getrunken, aber jedes Mal, wenn ich den Deckel abnahm, waren die Würfel mehr, und größer. Als sie schließlich mindestens anderthalb Zentimeter Kantenlänge hatten, habe ich den Kakao entsorgt. Ich hoffe, es war in Ordnung, dass ich ihn mitsamt der Würfel in die Biotonne geschüttet habe.

Ansonsten geht es mir prima, die komischen Ereignisse im Haus haben nicht auf mich abgefärbt. Das heißt, etwas Komisches ist doch passiert: Ich habe mich letztlich geschnitten, und dabei habe ich milka-lila geblutet. Das hat mich doch überrascht, aber es ist wahrscheinlich irgendwas mit dem Gerinnungsfaktor. Die Flecken davon gehen zum Glück beim Waschen ganz normal raus.
Was mich viel mehr stört, ist, dass ich neuerdings öfter mal durch die Wände falle. Wenn ich mich zu Hause beim Telefonieren gegen die Wand lehne, was ich normalerweise tue, und nicht mehr daran denke, fange ich plötzlich an, durch die Wand ins Nebenzimmer zu kippen. Das passiert mir immer dann, wenn ich die Wände vergesse. Wenn ich die Wand bewusst wahrnehme, kann ich dagegenschlagen und sie ist fest wie gewohnt, aber wenn ich in Gedanken bin, marschiere ich manchmal einfach durch.
So gehe ich in der Firma den Gang runter, habe den Kopf voll mit völlig anderen Dingen, ich kriege vor dem Fahrstuhl die Kurve nicht und rausche gegen die Wand – das heißt, einfach durch. Plötzlich stehe ich in der Abstellkammer und komme natürlich nicht wieder raus, weil ich jetzt ja an die Wände denke, und daher sind sie fest. Zum Glück passt mein Schlüssel auch für diese Tür. Es wäre mega-peinlich gewesen, von innen gegen die Tür hämmern und um Hilfe rufen zu müssen.
Ich frage mich, was als nächstes kommt.

© P. Warmann