Jana.

Jana ist eine Hexe. Wir kennen uns schon länger, aber am letzten Donnerstag war ich das erste Mal in ihrem Haus – sie hatte mich gebeten, ob ich ihr helfen könnte, die Heizkörper zu streichen. Ich konnte. Normalerweise macht sie solche Sachen selbst, aber sie ist inzwischen über Neunzig, und selbst eine Hexe fängt dann an ihr Alter zu spüren.

Wir legten früh am Morgen los, und um halb Eins hatten wir schon gut etwas geschafft. Jana meinte, dass sie jetzt eine Pause bräuchte, also setzten wir uns in ihr Wohnzimmer und tranken Kräutertee.
Wir saßen also da und unterhielten uns, da betrat plötzlich eine sehr gewichtige Persönlichkeit das Zimmer – gute vier Kilo Schildkröte wuchteten sich über die Schwelle. Sie war mindestens dreißig Zentimeter lang, pechschwarz, die Panzerränder weit nach außen geschwungen wie der Helm eines antiken Kriegers. Selbstbewusst schritt sie über den Teppich und ließ sich vor dem Fenster in der Sonne nieder.
„Dein Familiar?“ fragte ich Jana.
Sie grinste: „Ja, wir sind zusammen, seit ich eine ganz junge Hexe war.“ (Für alle, die sich mit Hexen nicht so gut auskennen: Ein Familiar ist ein Geist, der sich an eine Hexe bindet und die Gestalt eines Tieres annimmt.)
Ich betrachtete den großen Burschen kritisch. „Hm, er ist bestimmt sehr zuverlässig, aber wenn er für dich Aufträge ausführen soll, musst du ihn rechtzeitig losschicken – am besten ein paar Tage vorher.“
Das trug mir einen verächtlichen Blick aus schwarzen Reptilienaugen ein. Jana widersprach mir: „Oh nein, als Schildkröte mag er nicht der Schnellste sein, aber er hat noch andere Optionen offen.“ Sie wandte sich an ihn: „Na los, zeige ihr, was du kannst.“ Er blickte Jana skeptisch an, aber sie sagte: „Komm schon, sie ist eine Freundin, sie kann es ruhig wissen.“
Janas Familiar sah sie resigniert an – das mit den sprechenden Blicken konnte er wirklich gut. Dann zog er sich völlig ein, streckte alle Glieder wieder aus und fing an, sich zu verwandeln. Der Panzer schien zu schmelzen, zog sich zusammen, breitete sich dann aus und wurde zu einem Paar schwarzer Flügel. Er schlug damit, kräftig, und hob ab, flog durch das Zimmer und drehte eine elegante Runde um die Lampe. Dann blieb er genau vor meinem Gesicht in der Luft stehen, getragen von langsamen Flügelschlägen und Magie, und sah mich herausfordernd an.
„Ein Drache! Ein kleiner, dicker Schildkrötendrache!“ rief ich, denn genau das war er. Die stämmigen Beine, der Kopf und der kurze, dicke Zipfel von einem Schwanz waren geblieben, nur der Körper war jetzt schlank, geschmeidig und von schwarzen Schuppen bedeckt. Er blickte verächtlich auf mich herab und zeigte mir zwei Reihen spitzer Zähne – die hatte er vorher auch noch nicht gehabt.
Ich fragte Jana: „Was sagen die Leute eigentlich, wenn sie ihn so sehen?“
„Ach, ich schicke ihn meistens nur in der Nacht raus, und dann ist er gut getarnt. Wer ihn sieht, bucht ihn meist als Fledermaus – die meisten Menschen sehen doch nur, was sie sehen wollen.“
Ich wandte mich wieder an den Drachen. „Sehr eindrucksvoll“, sagte ich, „aber ein richtiger Drache müsste auch Feuer spucken können.“
Er gab ein Geräusch von sich, das wie ein Husten klang, und etwas helles und sehr heißes sauste an meinem linken Ohr vorbei und versengte mir die Haare.
„Sehr nützlich gegen Eulen“, meinte Jana trocken.
„Ich bin beeindruckt“, sagte ich, und zufrieden landete er wieder auf dem Teppich, verwandelte sich zurück und schloss die Augen. Jana und ich griffen wieder zu den Pinseln und machten uns an die Arbeit.

© P. Warmann