Ullas Umzug ging in die zweite Runde. Am Sonnabend hatten wir in der
neuen Wohnung mit Hilfe von Alex die Wände gestrichen und den Teppichboden
verlegt, heute, am Sonntag, sollten die Möbel und Ullas sämtliche
Habseligkeiten von der alten in die neue Wohnung gebracht werden. Alex
wollte uns auch dabei helfen.
Ich hatte einen Transporter gemietet und traf damit vor Ullas alter Wohnung
ein, gerade als Alex aus der Straßenbahn stieg. Er schleppte einen
mittelgroßen Koffer, der offensichtlich einiges wog nicht
gerade die ideale Ausrüstung für einen Umzugshelfer, dachte
ich.
Ulla wartete in der Wohnung zwischen säuberlich gestapelten Kartons
und transportbereiten Möbeln. Sie begrüßte mich mit einem
Kuss und sah dann verwundert auf Alex, der seinen Koffer geöffnet
hatte und auf dem Fußboden ein Gerät aufbaute, das aussah,
als wenn man damit problemlos feindliche U-Boote orten könnte: ein
runder Bildschirm mit Koordinatenkreuz, über den grüne Lichtpunkte
tanzten, ein großer und mindestens zwanzig kleinere Drehregler und
eine Zifferntastatur.
Alex erklärte: Das ist ein Dimensions- ... äh ... Irgendwas-Dings,
sozusagen. Es hat noch keinen Namen, aber keine Angst, das ist eine stabile
Version. Ich habe mir gedacht, weil die neue Wohnung im vierten Stock
liegt und das Treppenhaus sehr eng ist, wird es problematisch, die Möbel
dort hochzuschleppen. Außerdem müssten wir wahrscheinlich zweimal
fahren, weil der Transporter nicht alles fasst. Daher denke ich, es ist
am besten, wenn wir die Möbel falten.
Äh, was? war alles, was ich herausbrachte. Wie,
falten?
Interdimensional falten, natürlich. Es ist schwierig zu erklären
am besten, ich zeige es euch einfach.
Noch bevor einer von uns Halt! schreien konnte, hatte Alex
eine Art Mikrofon, das mit dem seltsamen Gerät verbunden war, auf
Ullas Wäschekommode gerichtet. Es machte brrtzl, und die Kommode
war weg. Das heißt, sie war noch da, wie wir sahen, als Alex sie
hochhob. Sie war aber auf etwa ein Zwanzigstel geschrumpft.
Niedlich, sagte Ulla.
Ja. Wenn du noch einen leeren Karton hättest, dann falte ich
jetzt noch schnell die restlichen Möbel, und wir packen sie da rein.
Etwa zwei Dutzend brrtzl später waren Ullas sämtliche
Möbel fein säuberlich in einem Wäschekorb verstaut. Alex
packte sein Gerät ein und erklärte dabei munter weiter: Ich
glaube, die Kartons sollten wir so lassen. Möbel sind einigermaßen
homogen vom Material her und lassen sich gut falten, aber vollgepackte
Kartons... Es kann dabei zu nicht definierten Zuständen kommen, zum
Beispiel wenn ein Radio untrennbar in eine Lampe gefaltet wird...
Versuche es gar nicht erst, sagte Ulla entschlossen und schnappte
sich den Wäschekorb.
Wir brachten den ganzen Kram unfallfrei in den Wagen und zur neuen Wohnung.
Alex schlug vor, die gefalteten Möbel als erstes hochzubringen,
sie gleich an ungefähr den Platz zu stellen, wo sie hinsollten, und
dort zu entpacken. Ein sinnvoller Vorschlag. Wir verteilten also nach
Ullas Anweisungen Miniaturmöbel in den Zimmern, dann brachte Alex
sein Gerät zum Einsatz.
Im Prinzip lief alles so wie beim falten, nur machte es diesmal srrrrt,
wenn er das Rohr auf die Möbel richtete. Alle entfalteten sich brav
und mussten meist nur noch um ein paar Zentimeter an die richtige Stelle
gerückt werden. Alle, bis Alex zum Kleiderschrank kam.
Er deutete mit dem Rohr auf den Schrank, und es machte nicht srrrrt,
sondern pffft. Der Schrank blieb, wie er war. Alex runzelte die
Stirn, drehte an zwei Reglern und versuchte es noch einmal. Wieder pffft
und kein Erfolg. Fünf weitere Versuche und zunehmend hektischeres
Nachregeln brachten auch nichts. Fast schon verzweifelt versuchte Alex
es mit Ullas Bett srrrrt, und es stand in voller Größe
da. Die Kommode ließ sich ebenfalls widerstandslos entfalten. Noch
ein Versuch beim Schrank, wieder kein Erfolg. Alex schüttelte den
Kopf.
Er entpackte alle weiteren Möbel, und es gab bei keinem ein Problem.
Aber der Schrank widerstand allen Versuchen und blieb gefaltet.
Es tut mir leid, Ulla, sagte Alex schließlich geknickt.
Er steckt irgendwie fest, und mir fällt nichts mehr ein, was
ich machen könnte.
Ulla hob den Schrank auf und drehte ihn zwischen ihren Fingern. Ein
nettes Stück für die Puppenstube meiner Nichte, sagte
sie. Sie wird sich freuen. Aber worin hänge ich jetzt meine
Klamotten auf?
Suche dir morgen einen neuen Schrank aus und lass ihn dir liefern,
sagte Alex. Egal wo. Ich zahle ihn dir. Schließlich ist es
meine Schuld.
Kannst du dir das leisten? fragte ich Alex besorgt.
Ach was, natürlich. Geld habe ich mehr als genug. Allein schon,
was ich für den Phrasenabzug und den Kochlöffel bekomme, und
seit neuestem auch für den Minirasierer... Nein, Ulla, suche dir
einfach den Schrank aus, den du schon immer haben wolltest.
Ulla bedankte sich bei Alex, der sich noch einmal entschuldigte, und
ging die ersten Kartons zu holen. Wir rückten noch das Bett an seinen
Platz, als wir sie plötzlich rufen hörten: Alex, komm
doch mal. Ich glaube, wir haben ein Problem.
Was ist denn? fragte ich.
Sie stand in der Wohnungstür und spähte ins Treppenhaus. Der
dritte Stock ist weg.
Der ... was?
Ich sah ihr über die Schulter, die Treppe hinunter, bis zum Treppenabsatz
oder besser dahin, wo der Treppenabsatz sein sollte. Er war aber
nicht da. Da war überhaupt nichts, nur eine nette, saubere Lücke,
wo das dritte Stockwerk hätte sein müssen. Weiter unten sah
ich den Treppenabsatz vom zweiten Stock. Von da ab bis zum Boden war das
Haus wieder vorhanden.
Ach du liebe Güte, rief Alex. Das ... wie konnte
das denn geschehen? Die Parameter ... ich muss das überprüfen.
Er baute sein Gerät neben der Wohnungstür auf und begann auf
der Tastatur herumzutippen.
Ich starrte währenddessen ins Treppenhaus. Das ist einfach
unfassbar, murmelte ich.
Lass das! sagte Alex scharf. Ich sah ihn verwundert an. Die
Dinge hier oben halten sich im Moment noch an ihre gewohnten Koordinaten
im dreidimensionalen Raum und bleiben, wo sie sind, erklärte
er. Wenn du sie aber darauf aufmerksam machst, was sich da geändert
hat, werden sie sich fragen, was sie eigentlich oben hält, und ihre
Lage vielleicht anpassen wollen...
Oh nein, sagte ich. Alex, ich hoffe, du findest schnell
eine Lösung.
Ja doch, sagte er. Ja, ich glaube, ich weiß, was
los ist. Ich hatte übersehen, dass die Parameterkurve eine Parabel
ist. Das heißt, es gibt für jede Gleichung zwei Lösungen,
und die zweite hat ihre Koordinaten etwa drei Meter unter uns. Dann hat
es anscheinend Interferenzen gegeben, und der dritte Stock ist parallel
in drei andere Dimensionen verschoben worden. Sieh mal hier: Der Gunz-Grün-Operator...
Alex, unterbrach ich ihn, versuche nicht, mir das zu
erklären. Ich bin Konditor. Die einzig wichtige Frage ist: Kannst
du das rückgängig machen?
Was? fragte Alex abwesend und ohne aufzusehen, während
er irgend etwas einregelte. Ach so, ja. Habe ich gerade gemacht.
Ich starrte erst ihn an, wagte dann, aus der Tür zu blicken, und
sah ein vollständiges Treppenhaus. Mit ganz gewöhnlichem dritten
Stock. Mir wurden die Knie weich vor Erleichterung.
Ulla, die die ganze Zeit neben mir gestanden hatte und sich nicht zu
rühren gewagt hatte, atmete einmal tief durch. Und jetzt die
Kartons, sagte sie.
Wir gingen also nach unten (wo die Welt glücklicherweise aussah wie
immer, wofür ich unendlich dankbar war) und begannen Umzugskartons
hochzuschleppen.
Als ich das dritte Mal nach unten kam, sah ich, dass Alex eine Art Rahmen
aus drei Latten vor die unterste Treppenstufe gebaut hatte, so groß
wie eine Türöffnung. Neben dem Rahmen hatte er sein Gerät
aufgebaut, und oben an der Querlatte hing das dazugehörige Rohr.
Der kleine Unfall eben hat mich auf eine Idee gebracht, sagte
er. Geh da durch. Du wirst sehen, die Treppe führt jetzt nach
oben.
Alex, sagte ich, das hat sie vorher auch schon getan.
Nein, nicht so. Versuche es.
Ich zuckte mit den Schultern, schnappte mir einen Karton, trat durch den
Rahmen und stand vor Ullas Wohnungstür im vierten Stock. Nicht
schlecht, was? sagte Alex, der mit einer Kiste hinter mir aufgetaucht
war. Runter müssen wir aber laufen.
Auf diese Weise schafften wir Ullas Sachen in Rekordzeit in die Wohnung.
Ich war zu mürbe, um zu protestieren, hielt aber insgeheim Ausschau
nach seltsamen Veränderungen in der Wirklichkeit um mich herum. Ich
fand keine, also war diese geniale Idee von Alex anscheinend ohne Nebenwirkungen.
Trotzdem, als Ulla und ich uns bei Alex bedankt und ihn verabschiedet
hatten und zusammen auf ihrem Sofa saßen, meinte sie: Alles
in allem ist es ja gut gelaufen, aber ich werde nie wieder die Treppe
hinuntergehen können, ohne dass es mir im dritten Stock kalt den
Rücken runterläuft.
© P. Warmann