Alex steckt im Schaum.

Ich war einkaufen gewesen und gerade erst zurück, als das Telefon klingelte. Alex war am anderen Ende.
„Mann, gut, dass ich dich erwische.“ Er war aufgeregt, und seine Stimme klang undeutlich und dumpf. „Hol mich hier raus, ich stecke fest in einem ... blubb.“
„Alex?“ rief ich, aber vom anderen Ende kam keine Antwort. Nur Stille. Ich warf den Hörer auf die Gabel, schnappte mir mein Rennrad und sauste los. Alex steckte fest in einem Blubb? Das klang nicht gut – was auch immer es für ein Blubb war, es schien ein ziemlich großer zu sein.

Bei Alex angekommen fand ich die Haustür unverschlossen. Ich ging hinein und lauschte. Nichts.
„Alex?“ rief ich besorgt. Keine Antwort.
Es war nicht das erste Mal, dass ich Alex aus einer Klemme holte, wenn eine seiner Erfindungen nicht so funktionierte, wie sie sollte. Normalerweise hörte ich aber, wo das Problem war, wie Anfang Dezember, als sein programmierbarer Keksausschneider Amok lief. Alex musste sich in der Speisekammer verschanzen, weil das Gerät ihn für Teig hielt. Zum Glück konnte ich das Ding mit einer mit Sekundenkleber bestrichenen Scheibe Toast lahmlegen, aber es war knapp. Die Tür der Speisekammer hat seitdem ein nettes, tief eingeschnittenes Muster aus Sternen, Halbmonden und Kreisen.

Ich rief noch einmal Alex’ Namen. Wieder keine Antwort. Ich ging zur Werkstatt und spähte hinein. Da war etwas: Mitten auf dem Fußboden waberte ein riesiger Haufen weißer Schaum, so hoch wie ich. Daneben lag das Telefon. Und unten aus dem Schaumberg ragten, gerade noch erkennbar, Alex’ Füße hervor. Anscheinend kniete er darunter.
„Alex?“ rief ich, auf das Schlimmste gefasst.
„Mmhm mm mhm“, drang es aus dem Schaum. Es klang aufgeregt, aber glücklicherweise nicht nach unmittelbarer Gefahr.
„Wie kann ich dir helfen?“
Wieder unverständliche Laute, dann erschien ein Arm. Alex bewegte ihn über seinem Kopf – oder dem Ort, wo ich seinen Kopf vermutete. Was sollte das bedeuten? Kreisförmige Bewegungen, als wenn er etwas hielt ... sich etwas über den Kopf schüttete? Dann hatte ich es.
„Unter die Dusche?“ fragte ich.
„Mm, mm, mm“, kam es bestätigend aus dem Schaum.
„Gut, ich führe dich ins Bad“, verkündete ich und griff mir seinen aus dem Schaum ragenden Arm. Alex kam auf die Beine und folgte mir. Ein hüfthoher Haufen Schaum blieb zurück, aber was an Alex hing, schien nicht weniger zu werden. Ich zog den Schaumberg Richtung Bad, wobei ich versuchte, nicht auch noch von den wabernden Massen verschlungen zu werden.
Im Bad stellte ich Alex vor die Duschwanne, sagte: „Beuge dich vor“, was er anscheinend tat, und drehte das Wasser auf. Eine Zeit lang geschah gar nichts. Der Schaum ließ sich leicht abspülen, aber er schien nachzuwachsen, denn er wurde nicht weniger. Alex tastete nach der Dusche, und ich drückte sie ihm in die Hand. Er schien zu wissen, wohin er den Strahl richten musste, denn jetzt verschwand der Schaum ziemlich schnell. Bald konnte ich die Umrisse von Alex erkennen, und schließlich stand er da, klatschnass, aber frei von Schaum.
„Mann, ich danke dir“, sagte er. „Ich hätte stundenlang da drinnen festsitzen können. Na schön.“ Er stellte die Dusche ab. „Also, es funktioniert, aber ich habe mich anscheinend beim Katalysator verschätzt. Das muss ich noch mal überarbeiten.“
„Was war eigentlich los?“ wollte ich wissen.
„Das war ein neues Trockenschaum-Haarwaschmittel. Es besteht aus einem Pulver, man gibt zwei Teelöffel Wasser dazu, dann entsteht Schaum, und mit dem kann man sich ganz normal die Haare waschen, nur werden sie nicht nass. Anschließend entfernt man den Schaum einfach mit einem Handtuch. Ich muss bloß noch an der Dosierung arbeiten...“
Er griff nach einem Handtuch und trocknete sich die Haare ab.

„Sehr schön“, sagte ich. „Du bist also in Ordnung?“.
„Ja. Warte, ich ziehe mir nur schnell ein trockenes Hemd an, dann zeige ich dir etwas.“
Ich folgte ihm ins Schlafzimmer, wo er das nasse Hemd auf einen Bügel hängte und ein frisches aus dem Schrank nahm.
„Übrigens, was deinen Minirasierer angeht, damit gab es gestern einen kleinen Unfall“, sagte ich. „Ich wollte Ulla vom Zug abholen und habe ihn mir noch einmal auf die Wange gesetzt, damit ich perfekt rasiert bin. Dann kam Ulla, wir ... hm ... haben uns ziemlich heftig geküsst, und dabei muss ich ihn abgestreift haben.“
„Hast du ihn verloren? Kein Problem, ich gebe dir einen neuen.“
„Nein, er ist auf Ullas Lammfellkragen gefallen. Wir haben es erst gemerkt, als der schon ein ziemlich nettes ausrasiertes Zickzackmuster hatte.“
„Oh je. Ist Ulla dir sehr böse?“
„Nein, sie sagt, die Jacke sieht ziemlich cool aus. So etwas hat schließlich nicht jeder.“
„Trotzdem, ich baue eine Sicherung gegen solche Fälle ein. Stell dir vor, der Rasierer fällt nächstes Mal auf deine Katze...“

Alex, jetzt in trockenen Sachen, führte mich zurück in die Werkstatt. Der Schaumhaufen dort waberte noch immer, aber Alex ignorierte ihn. Statt dessen stellte er ein Gerät auf die Werkbank, das aussah wie ein altmodisches Röhrenradio, dem man die Eingeweide von innen nach außen gestülpt hatte.
„Das ist ein Stille-Generator“, erklärte er. „Er vernichtet Lärm. Pass auf.“
Er nahm von einem Regal einen von diesen aufziehbaren Blechaffen, die zwei Becken gegeneinanderschlagen, zog ihn auf und setzte ihn in Gang. Das Ding machte eine Menge Krach.
„Gut“, sagte Alex, „wenn ich jetzt anschalte, solltest du meine Stimme immer noch hören, aber der Lärm wird angesaugt und vernichtet. Los geht’s.“
Er drückte einen Knopf, und wirklich: Augenblicklich verschwand der Krach, den der Affe machte. Ich hörte klar und deutlich Alex, wie er etwas über die Arbeitsweise des Apparates erklärte, von dem ich wie üblich kein Wort begriff.
Ich wollte gerade sagen, wie gut das Ding funktionierte, als etwas geschah. Zuerst hörte ich ein Zischen und dann, ganz plötzlich, strömten Geräusche durch meine Ohren. Es war, als wenn alles, was ich in der letzten halben Stunde gehört hatte, Schritte, Stimmen, das Rauschen der Dusche, Autos, der bekloppte Hund vor dem Supermarkt, alles auf einmal aus mir herausgezogen wurde, und ich hörte es, alles gleichzeitig, und rückwärts.
Ich riss die Arme hoch, aber Alex schlug schon auf den Schalter der Notunterbrechung, und der Krach brach zusammen.
„Oh Mann, das tut mir leid. Da muss eine Rückkopplung im Schwingkreis gewesen sein, und das hat mehr Stille erzeugt, als Geräusche da waren, und um das Vakuum zu füllen, hat es auf deine Klangerinnerungen zugegriffen. Ist alles in Ordnung?“
„Ja“, sagte ich. Genau genommen hörte ich so gut und klar wie vielleicht noch nie zuvor in meinem Leben. „Aber, Alex, bitte: Wenn du das nächste Mal eine deiner Erfindungen testest, dann bitte nicht an mir.“

© P. Warmann