Alex hat einen Garten.

Alex hatte auf meinem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen: „Komm rüber und sieh dir meinen Garten an. Du wirst dich wundern!“
Ich wunderte mich jetzt schon. Während ich zu ihm fuhr, dachte ich über das Grundstück nach, auf dem Alex lebt. Er hatte es für erstaunlich wenig Geld gekauft – es war viele Jahre lang eine Gerberei gewesen. Nur ein Gebäude stand noch, ehemals Büros und Werkstatt, das Alex für seine Zwecke umgebaut hatte.
Das Problem war das restliche Grundstück. Dort wuchs nichts. Warum, stellte Alex fest, als er den Boden umgrub: Hier und dort und überall schillerte er in giftigen Farben. Das waren die alten Gerbegruben, mit Lehm ausgekleidet und über viele Jahrzehnte immer wieder mit Gerberlohe gefüllt, voller Chrom und anderer Schwermetalle. Alex gab das Umgraben auf und jeden Gedanken an einen Garten dazu.
Und jetzt hatte er anscheinend doch einen Garten. Das konnte nur das Werk seiner Schwester sein. Sie hat eine Gärtnerei und beschäftigt sich mit experimenteller Pflanzenzucht. Einer ihrer Erfolge ist der Popcorn-Mais am Kolben. Er wird fast reif geerntet, man hängt ihn an eine sonnige Stelle, dort reift er aus und poppt – ohne dass man ihn rösten muss.
Im letzten Sommer hatte sie eine neue Sorte entwickelt, die mit mehr Schwung poppen sollte, und mir drei Kolben zum Ausprobieren gegeben. Ich hängte sie auf den Balkon, und zum Glück war ich nicht da, als sie loslegten. Das poppende Korn zerschoss mir ein Windlicht, zerfetzte meinen Sonnenschirm, und Splitter bohrten sich zentimetertief in den Rahmen der Balkontür. Alex’ Schwester nannte die Sorte ‘Kalaschnikow’ und beschloss, sie nicht in den Handel zu bringen.

Alex öffnete mir die Tür. Er hatte ein großes Taschentuch in der Hand und sah etwas verquollen aus.
„Hallo“, sagte er, „schön, dass du ... Haaa ...“
Es wurde ein längerer Niesanfall. Bei jedem Nieser kam eine Wolke winziger blassblauer Blüten aus seiner Nase. Schließlich bekam er wieder Luft, schniefte und putzte sich die Nase.
„Dämliche Pollenallergie. Jedes Jahr dasselbe. Immerhin sind sie diesmal wenigstens nicht rosa. Was soll’s, komm und sieh dir den Garten an.“
Es war tatsächlich ein Garten. Zwar war nicht das ganze Grundstück grün, aber es gab mehrere Beete und dazwischen verschiedenen kleine Büsche.
„Sieht gut aus“, sagte ich, „aber glaubst du, die Pflanzen überleben in deinem Boden?“
„Oh ja. Meine Schwester hat überall frische Mutternerde aufgetragen.“
„Mutternerde?“
„Ja. Sieh mal.“ Er bückte sich und hob ein kleines Metallstück auf, wie sie, wie ich jetzt bemerkte, überall in der Erde glitzerten. Ich sah es mir an: Es war nur einige Millimeter groß und unregelmäßig eckig mit einem Loch in der Mitte.
„Das sieht nicht gerade wie eine Mutter aus“, meinte ich.
„Sie ist ja auch noch nicht reif. Im Herbst kann ich sie ernten – geht übrigens ganz leicht, mit einem Magneten –, dann sind das Viertelzoll-Sechskantmuttern, hartverchromt. Mit Normgewinde.
Gebildet werden sie von einem Pilz. Er verbindet sich mit den Pflanzenwurzeln und hilft ihnen, die Spurenelemente aus dem Boden zu lösen. Die Pflanzen bekommen ihren Teil, der Pilz seinen, und aus den giftigen Metallen macht er legierten Stahl.“
„Stahl?“ Ich dachte nach. „Dazu braucht er aber eine Menge Eisen.“
„Stimmt. Man muss alle zwei Monate mit Eisenfeilspänen düngen.
Jetzt zeige ich dir mal, was hier alles wächst.“
Alex führte mich herum. „Das ist ein Besenginster.“ Er zeigte auf einen kniehohen Strauch. „Ist aber noch ziemlich klein und trägt im Moment nur Borstenpinsel. Hier haben wir Klatschmohn – blüht ziemlich laut –, und das werden Wachsbohnen. Diese Sorte gibt erstklassiges Bohnerwachs. Da drüben wächst eigentlich eine Sommerlinde, aber die überwintert in Afrika und ist noch nicht zurück. Vorsicht, die Löwenmäulchen sind ziemlich aggressiv.“
„Merke ich schon.“ Ich gab einigen, die sich in meine Hose verbissen hatten, einen Klaps auf die Blüte. Sie knurrten mich an und schnappten nach meinen Fingern.
Alex zeigte auf die beiden Beete nahe der Hauswand. „Und das hier sind Drebeeren.“
„Wieso Drebeeren?“
„Wie Erdbeeren, nur andersrum. Sie blühen dunkelrot, dafür sind die Früchte weiß. Probiere sie mal. Die unreifen sind sehr süß, wenn sie reif werden, werden sie säuerlich.“
Irgendwie konsequent. Ich pflückte eine und versuchte sie. „Sehr lecker.“
„Möchtest du welche mitnehmen? Ich darf sowieso nicht zu viele davon essen, dann bekomme ich Einschlag.“ Ich muss etwas verständnislos ausgesehen haben, denn er erklärte: „Du weißt schon: kleine rote Mulden, die gemein jucken. Also, wenn du welche möchtest, hole ich eine Dose.“

So kam ich mit einer Portion Drebeeren nach Hause zurück. Ich kann sie nur empfehlen, aber Vorsicht: Der Saft hinterlässt auf allen dunklen Oberflächen weißgebleichte Flecken.

© P. Warmann