Die Brotflinte.

Mein Telefon klingelte. Alex war dran.
„Kann ich ein paar Stunden bei dir unterkommen? In meiner Bude steht kniehoch Dunkelheit.“
„Lass mich raten: Du hast am Nachtlicht gearbeitet.“
„Stimmt. Ich habe gar nicht gemerkt, dass es leckt, und jetzt schwappt hier die Finsternis überall rum. Ich habe alle Fenster aufgerissen, es wird sich verflüchtigen, aber bis dahin...“
„Komm her und sitze es bei mir aus“, lud ich ihn ein.

Zehn Minuten später war Alex da.
„Hallo! Was für ein Tag! Eigentlich müsste ich am Rasen-Näher arbeiten, aber was soll’s. Dann mache ich es eben später.“
„Was ist ein Rasen-Näher?“ wollte ich wissen.
„Eine ganz tolle Erfindung. Er trennt aus Grassoden exakt die einzelnen Halme samt Wurzeln heraus und webt sie dann gezielt in einen Rasen ein. Geniales Teil, man kann damit alles flicken: Fußballstadien, Golfplätze, Grünanlagen. Ich werde es bis zur Fußball-Weltmeisterschaft fertig haben, und dann mache ich das ganz große Geld!“
Ich sah Alex misstrauisch an. So völlig aufgedreht und übermäßig begeistert hatte ich ihn noch nie gesehen. Mir kam ein Verdacht.
„Alex, hast du Mozart gehört?“
„Was? Ich glaube nicht... Oh, verdammt, doch: An der Ampel stand ein Wagen neben mir, aus dem klang klassische Musik. Mist. Jetzt hat mich meine Mozart-Allergie erwischt. Überschäumender Optimismus ... und das Beunruhigungsmittel liegt zu Hause. Kannst du mir mit welchem aushelfen?“
„Leider nein“, sagte ich. „Aber ich habe ernste Zweifel.“
„Oh, gut. Die sind rezeptfrei, oder?“
„Sind sie“, bestätigte ich und holte die Schachtel. Prüfend sah ich hinein.
„Ich weiß nicht“, sagte ich und runzelte die Stirn, „sie sehen gut aus, aber vielleicht wirken sie nicht mehr. Sie müssten eigentlich noch frisch sein, aber andererseits...“
Alex nahm mir die Schachtel aus der Hand. „So, wie du dich anhörst, sind sie völlig in Ordnung“, meinte er und nahm gleich zwei.

Wir gingen in die Küche, und ich machte Kaffee. Alex sah währenddessen aus dem Fenster. „Stören dich die Tauben?“ fragte er und zeigte auf das hiesige Rudel, das es sich auf dem Dach gegenüber bequem gemacht hatte.
„Mäßig“, antwortete ich. „Wieso?“
„Man könnte sie von hier aus leicht mit einer Brotflinte wegputzen.“
„Du meinst nicht eine Schrotflinte, oder?“
„Nein. Weißt du, wie viele Kilo Bleischrot pro Jahr von den Jägern verfeuert werden? Das meiste davon bleibt irgendwo da draußen. Blei pur. Kannst du dir vorstellen, was das für die Umwelt bedeutet?
Als ich das gelesen habe, fielen mir Schwarzbrot-Krümel ein. Du hast bestimmt auch gemerkt, wie steinhart die nach ein paar Tagen werden. Man kann sie problemlos statt Bleischrot benutzen, wenn man die Treibladung etwas modifiziert. Hat nur Vorteile: völlig biologisch abbaubar, man muss sie nicht aus den Tieren entfernen, wenn man sie zubereitet, und der Jäger kann seine Munition selbst herstellen, wenn er regelmäßig den Brotkasten ausfegt.“
„Alex“, unterbrach ich ihn, „ich habe etwas gegen das Totschießen von Tieren, egal womit.“
„Ich ja auch. Deshalb habe ich den Prototypen nicht weiterentwickelt und auch kein Patent angemeldet.“

Ich schüttelte den Kopf und goss uns Kaffee in die Becher.
„Überhaupt, Patente“, sagte Alex nachdenklich. „Du weißt doch, dass ich für eine Firma in Seattle die USA-Lokalisierung vom Phrasenabzug gemacht habe.“
Ich nickte. Das Teil wird inzwischen zu einem internationalen Erfolg: Es entfernt Phrasen, Gelaber, schlechte Witze und überhaupt alles Bedeutungslose aus Reden, Vorlesungen, Presseerklärungen und allen anderen Arten von Wortbeiträgen, und zwar in Echtzeit, während sie gehalten werden. Alex arbeitet im Moment an einem Zusatzmodul für Sportberichterstattung.
„Sie haben das Teil an einer Rede des Präsidenten getestet“, fuhr er fort, „und sie bekamen eine ganz seltsame Fehlermeldung. Demnach hat anscheinend irgendwer meine Algorithmen geknackt und so umgedreht, dass sie jetzt Phrasen generieren – bis hin zu kompletten Reden, wenn gewünscht.“
„Willst du etwas dagegen unternehmen?“
„Ich kann nichts beweisen. Aber ich werde es in der neuen Version berücksichtigen, und dann werden einige Leute eine Überraschung erleben.“

© P. Warmann