Ich sitze in meiner Lieblings-Kaffeebar und warte auf Agent XXA, frisch
von der Uni mit einem Abschluss in Unwahrscheinlichkeitsphysik und eben
fertig mit seiner Ausbildung zum Agenten für das Amt für Wirklichkeitsschutz.
Jetzt soll er praktische Erfahrung sammeln, und ich habe mich bereit erklärt,
das zu übernehmen. Normalerweise ist das keine Aufgabe für einen
Tripel-X-Agenten wir sind die Leute für die ganz besonderen
Fälle , aber der Junge interessiert mich. Eine Diplomarbeit
mit dem Thema Entstehung mehrdimensionaler Unwägbarkeiten durch
unterkühlte Irrealitätsfalten, gibt als Hobbys Einrad
fahren, Vulkanologie und Kekse backen an und hatte in der Ausbildung
die höchsten Punktzahlen in Analytischer Problembehandlung und Schusswaffengebrauch.
Und er wurde gleich nach Abschluss der Ausbildung als Doppel-X-Agent eingestuft.
Ungewöhnlich.
Während ich noch versuche, die Informationen über Agent XXA
zu einem Bild zusammenzusetzen und mich freue, dass es kein erkennbares
einfaches Muster gibt, kommt er durch die Tür (ich erkenne ihn nach
einem Foto aus den Akten). Offensichtlich erkennt auch er mich, denn er
kommt zielstrebig zu mir herüber.
Er wirkt jünger, als er sein muss, und sieht aus wie der typische
Student der Naturwissenschaften: Haarschnitt der Art ganz schick,
aber hauptsächlich praktisch, Jeans, feste Schuhe und ein Anorak
gegen den ich sehe nach draußen gerade mal wieder
niedergehenden Schneeregen.
Agent XXXT, stelle ich mich vor, als er sich einen Stuhl heranzieht.
Setzen Sie sich. Was möchten Sie trinken?
Etwas zum wach werden. Er studiert die Karte. Espresso
stark, extra stark ... was ist Espresso brutal?
Sagen wir es so: Sie sollten ihn nicht trinken, wenn Sie vorhaben,
in den nächsten 48 Stunden irgendwann zu schlafen.
Oh. Besser nicht. Aber die haben hier elektrischen Kaffee
den nehme ich.
Ich winke dem Kellner und bestelle.
Der Kaffee kommt, für mich Espresso brutal, und ich frage mein Gegenüber:
Was hat Sie veranlasst, Agent für das Amt zu werden? Ein Diplom
in Physik, nicht einmal der Versuch, den Doktor zu machen frustriert
von der akademischen Laufbahn?
Kann man so sagen. Er nimmt einen Schluck von seinem elektrischen
Kaffee, und ein Stromstoß lässt ihn zusammenzucken. Ich
war auf der Suche nach einer Doktorandenstelle, dann hing bei uns im Institut
am Schwarzen Brett ein Hinweis, dass das Amt Agenten sucht, ich
habe mich mehr zum Spaß beworben und bin genommen worden. Jetzt
bin ich Doppel-X-Agent. Freiheit und Abenteuer!
Er lacht, dann meint er: Es ist aber auch schwierig, die Theorie
der überlappenden Wirklichkeiten oder Irrealitäts-Partikel-Physik
zu studieren. Offensichtlich gibt es weltweit nur zwei Dozenten dafür,
Danielov in Moskau und Frau Akimori in Japan ... und dann gab es natürlich
noch Professor Sütterlin in Berlin, aber der hat vor vier Jahren
seine Professur aufgegeben und ist nicht auffindbar. Er sieht mich
direkt an. Immerhin weiß ich jetzt, was aus ihm geworden ist.
Ach ja? frage ich leichthin.
Er sitzt mir gegenüber, sagt er trocken.
Ich hebe anerkennend eine Augenbraue. Sie sind der erste, der mich
erkennt. Wie sind Sie darauf gekommen?
Es gibt einen wichtigen Beitrag von Ihnen in einer Festschrift für
Heisenberg, und dort werden alle Autoren mit Bild vorgestellt. Sie haben
sich in den fünf Jahren nicht sehr verändert.
Etwas grauer, etwas schlanker, gebe ich zu. Wollen wir
zum du übergehen? David Sütterlin. Ich reiche
ihm die Hand.
Steffen Peters. Er nimmt sie.
Nette Karriere, sagt er dann, vom Professor zum Tripel-X-Agenten.
Zwischendrin war ich noch der Wahnwitzige Doktor Y, werfe
ich ein.
Was? Er starrt mich an und erkennt, dass ich die Wahrheit
sage. Ernsthaft? Ich habe die Akte gelesen ... wahrscheinlich liest
jeder Agent die Akte, sobald er die Berechtigung dazu hat ... wie haben
Sie das gemacht, dass sich der Regierende Bürgermeister in seinem
eigenen Wohnzimmer verirrt hat? Und die Sache mit dem doppelten Kölner
Dom? Oder der Gummibärchen-Aufstand?
Ich will gerade dazu ansetzen, ihm etwas davon zu erklären, als
ein Schatten auf den Tisch fällt. Zwei düstere Gestalten treten
von rechts und links neben meinen Stuhl zwei Typen im Kleiderschrankformat
in sehr teuren dunklen Anzügen. Ein dritter, jünger, schlanker
und mit einer Ausbuchtung im Anzug unter der rechten Achsel, die mir verrät,
dass er a) bewaffnet und b) Linkshänder ist, beugt sich über
mich. Sie sind verhaftet, sagt er ernst.
Bin ich? frage ich. Na gut. Steffen, du musst mich entschuldigen,
ich bin verhaftet. Ich erhebe mich. Einer der drei reicht mir Hut
und Mantel.
Steffen steht ebenfalls auf. Wieso bist du verhaftet und ich nicht?
fragt er.
Das ist Agent XXA, erkläre ich dem Anführer der
drei. Sie können ihn ebenfalls verhaften.
Sie sind verhaftet, sagt er zu Steffen.
Meine Jacke ist die blaue mit den schwarzen Ärmeln, erklärt
der und bekommt sie von einem der Kleiderschranktypen gereicht.
Wir steuern auf den Ausgang zu, wo sich uns ein blasser, aber standhafter
Kellner in den Weg stellt und erklärt, ich hätte den Kaffee
noch nicht gezahlt. Kann ich nicht, ich bin verhaftet, erkläre
ich. Wenden Sie sich an den Herren hier. Und der Anführer
zückt tatsächlich seine Brieftasche, bezahlt und gibt sogar
ein heftiges Trinkgeld.
Draußen wartet eine riesige Limousine schwarz und mit getönten
Scheiben, natürlich. Die düsteren Typen öffnen die Türen.
Ich steige ohne Zögern ein, Steffen etwas widerstrebend, scheint
mir.
Drinnen sitzen wir einer Frau gegenüber: blond, schlank, nicht mehr
jung, maßgearbeitetes dunkles Wollkostüm. Kein Schmuck. Und
das Blond ist echt.
Moin, Charlotte, sage ich.
Hallo, David, grüßt sie zurück.
Das ist Steffen Peters, stelle ich vor. Agent XXA.
Wieso eigentlich XXA? fragt er. Bin ich der erste Doppel-X-Agent?
Die Kennbuchstaben werden zufällig vergeben, erkläre
ich. Angewandte Chaostheorie.
Aha. Und sind wir wirklich verhaftet?
Du solltest besser davon ausgehen, sage ich.
Er sieht erst sie an, dann mich, und schüttelt den Kopf. Offensichtlich
begreift er nichts. Woher auch.
Ich gebe ihm die Erklärung. Charlotte hier gehört zu einem
Geheimdienst in diesem unseren Land zu einem, der so geheim ist,
dass nicht einmal wir wissen dürften, dass es ihn gibt. Offensichtlich
brauchen sie die Hilfe eines Agenten vom Wirklichkeitsschutz. Nun dienen
wir demselben Staat, sie könnte also ein Amtshilfegesuch stellen,
aber das geht nicht, weil die Sache zu geheim ist, als dass eine Spur
davon in den Akten auftauchen dürfte.
Also werden wir verhaftet, helfen denen und werden danach wieder freigelassen
alle Vorwürfe waren gegenstandslos. Das Amt schreibt
dann noch eine Beschwerde an den Innenminister, und das wars.
Steffen sieht mich an. Lass mich raten: Die Idee dazu ist von dir?
Charlotte lächelt. Wir kamen etwa zeitgleich darauf,
sagt sie.
Der Wagen fährt uns durch die Stadt, aber nicht weit. Wir landen
vor dem exklusivsten Hotel dieser an exklusiven Hotels nicht armen Stadt.
Charlotte scheucht uns durch die Halle und die Treppe hoch, im Eilschritt
bis in den vierten Stock.
Dort ist eines der Zimmer in ein improvisiertes Büro verwandelt worden,
mit Tischen für diverse Laptops, Plänen des Gebäudes an
der Wand, Telefonen und einem dieser klobigen Metallaschenbecher mit Sandfüllung
auf einem Dreifuß. Anscheinend raucht hier aber keiner, ich sehe
keine Kippen.
Vier Leute sind anwesend, mit uns dreien dazu wird es etwas eng. Niemand
achtet auf uns, alle machen ihre Arbeit nach Hektik oder einem
größeren Notfall sieht das im Augenblick jedenfalls nicht aus.
Charlotte wendet sich an mich: In diesem Augenblick findet über
uns eine Konferenz statt mit verschiedenen sehr wichtigen Staatsvertretern
und einigen extrem einflussreichen Leuten aus der Wirtschaft und
der Finanzbranche. Die Konferenz ist ultra-geheim und ihr Ausgang von
eminenter Bedeutung für die weitere Entwicklung der Weltlage. Mehr
darf ich nicht sagen ... jedenfalls bin ich für die Sicherheit der
Teilnehmer verantwortlich.
Wir haben im Vorfeld eine Warnung bekommen, dass versucht werden soll,
die Konferenz zu sabotieren nicht mit Gewalt, sondern durch etwas
wie eine Realitätsverschiebung oder eine andere Störung der
Struktur der Wirklichkeit. Wir haben das Gebäude daraufhin überwacht
mit den Geräten, die das Amt für Wirklichkeitsschutz
uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Sie lächelt
mir zu. Die Messungen waren allesamt negativ. In den letzten Stunden
aber häufen sich seltsame Vorfälle, und ich weiß ehrlich
gesagt nicht, was ich davon halten soll. Daher habe ich dich kommen lassen.
Was für Vorfälle? will ich wissen.
Sie übergibt mit einer Handbewegung an einen Mitarbeiter. Zuerst
bewegten sich kleine Gegenstände, berichtet er. Weggeworfene
Notizen fanden sich statt im Papierkorb plötzlich in der Aktenmappe
wieder an, offene Wasserflaschen waren wieder zugedreht... Dann haben
sich Möbel bewegt, einige Teilnehmer klagten über Kopfschmerzen,
und einer unserer Leute wurde von seiner Krawatte gewürgt
immer, wenn er sie lockerte, zog sie sich noch fester zu. Schließlich
berichtete ein Teilnehmer uns, in seinen Aufzeichnungen wären plötzlich
alle Worte auf jeder Seite alphabetisch geordnet. Im Moment ist es aber
wieder ruhig. Offensichtlich streiten die sich gerade über Protokollfragen
ob Wortmeldungen per Handzeichen oder mit einem Kärtchen erfolgen
sollen. Er schüttelt verständnislos den Kopf.
In mir beginnt ein Gedanke zu ticken. Ist die Heizung oben in Ordnung?
Was? Äh ... nein. Wir haben sie mehrfach höhergestellt,
aber es ist dort verdammt kalt.
Mist! Ich trete mit Schwung gegen den Dreifuß des Aschenbechers,
und der Sand ergießt sich über den Teppich wo er ein
säuberliches Schachbrettmuster bildet, immer ein perfektes Sandquadrat
neben einem freien ohne eine Spur von Sand. Charlotte und ihr Mitarbeiter
starren erst darauf und sehen dann mich an. Charlotte ist erkennbar besorgt.
Steffen runzelt die Stirn. Das ist eine Unwahrscheinlichkeit höheren
Grades, kommentiert er das Ergebnis meines Experiments. Hast
du einen Verdacht, was hier los ist?
Ich nicke. Mach eine Messung, sage ich zu ihm. Er zieht einen
Detektor aus der Tasche ein Agent hat ihn immer dabei und
geht damit durch den Raum.
Nichts, sagt er dann. Keine Chaoswirbel, keine Irrealitäten,
sogar der Negatonenzähler findet nichts. Seltsam. Aber vielleicht
ist das Gerät kaputt?
Nö, sage ich, denn ich habe ebenfalls gemessen, mit meinem
eigenen Apparat Steffens ist von der Stange, aber meinen habe ich
selbst gebaut. Hier ist keine Spur von Chaos. Und genau das ist
das Problem. Das hier ist wirklich ein Anschlag, aber er kommt aus der
anderen Richtung: Keine Chaoswelle, sondern jemand hat das Konferenzzimmer
mit einem Übermaß an Ordnung geflutet. Verdammt. Ich
wende mich an Charlotte: Schaff die Teilnehmer sofort hier raus.
Warum? David, ich kann die Konferenz nicht einfach unterbrechen.
Es hat einen unglaublichen Aufwand gekostet, diese Leute zusammenzubringen,
und wir werden das nicht ein zweites Mal schaffen. Wenn wir jetzt abbrechen,
wenn sie ohne Ergebnis endet, ist das eine Katastrophe.
Dann schaff sie wenigstens nach unten. Die unteren Stockwerke scheinen
noch sicher zu sein.
Das könnte gehen ... in den kleinen Speisesaal, zu einem Imbiss
... mit etwas Diplomatie ... aber warum?
Hier wird alles immer mehr geordnet, sage ich eindringlich.
Irgendwann greift das auch auf die Menschen über. Leben bedeutet
fließendes Blut, Nervenimpulse, Körperwärme Wärme
ist Unordnung, deshalb funktioniert die Heizung nicht mehr , und
bei zu viel Ordnung wird alles erstarren. Möchtest du, dass den Konferenzteilnehmern
die Hirne kristallisieren?
Sie zuckt zusammen. Evakuierung, sagt sie entschlossen zu
ihren Mitarbeitern. Ins Erdgeschoss, in den kleinen Speisesaal.
Und bitte höflich. Dann wendet sie sich an mich. Siehst
du eine Lösung?
Ganz viel Ordnung kann man nur mit ganz viel Chaos neutralisieren,
erkläre ich. Ich brauche einen Wagen.
Wir bekommen den Wagen. Zusammen mit Steffen lasse ich mich zu meiner
Wohnung fahren, in einem Tempo, das vermuten lässt, dass Strafzettel
nicht wirklich zum Wortschatz des Fahrers gehört.
Bei mir angekommen lasse ich den Wagen warten und stürme ins Haus.
Ich wohne in einer Art Loft über einer ehemaligen Autowerkstatt.
Drinnen erkläre ich Steffen: Unten ist mein altes Labor, das
heißt, das von Doktor Y. Dort habe ich noch einen Chaosgenerator,
den wir benutzen können ...
Fein, sagt Steffen.
... falls es mir gelingt, ihn fertigzubauen, bevor die Ordnung das
Hotel samt seiner Bewohner in ein nettes Kristalllabyrinth verwandelt.
Es breitet sich nämlich aus.
Oh, toll, sagt Steffen. Kann ich dir helfen?
Ja. Die Küche ist dort drüben.
Küche? fragt er verwirrt.
Ja. Du warst doch Student. Was macht man, wenn nichts klappt, wenn
tausend Dinge gleichzeitig getan werden müssen und du keinen Schimmer
hast, wie das jemals funktionieren soll?
Oh, sagt er. Natürlich. Erstmal 'n Kaffee.
Ich bin unten, sage ich, und verschwinde ins Labor.
Als Steffen mit dem Kaffee kommt, bin ich schon schwer am basteln. Ich
nehme ihm einen Becher ab und trinke einen Schluck, ohne wirklich etwas
zu schmecken.
Kannst du löten? frage ich.
Ja, wieso?
Dann verlöte mal das Zeugs da. Ich zeige auf den halb
fertigen Chaosgenerator.
Äh, ja, aber was mit wem? will er wissen.
Einfach irgendwas irgendwomit. Ich habe keine Ahnung, wie das funktionieren
soll.
Steffen wirkt ziemlich verdutzt. Ja, was denkst du denn, sage
ich. Das ist ein Chaosgenerator meinst du, dass man
so etwas sorgfältig konstruiert? Hier hilft nur der Zufall weiter.
Er starrt mich an, zuckt dann mit den Schultern und macht sich ans Werk.
Kann ich auch Kreuzverbindungen ziehen? fragt er. Ich nicke.
Das ringmoduliert dann aber.
Was? Ich nehme ihm den Lötkolben aus der Hand. Natürlich!
So wird es gehen! Plötzlich weiß ich genau, wie das Ding
aussehen muss. Fünf Minuten später ist der Generator fertig.
Jetzt müssen wir ihn nur noch testen sage ich und sehe
nach oben. Also gut. Vier Sekunden Chaospuls, geringstmögliche
Reichweite, fünf bis acht Meter ... und hoffen wir, dass die Wohnung
möglichst wenig abbekommt. Ich drücke den Startknopf.
Der eine Kaffeebecher platzt, schüttet Kaffee über die Werkbank
und in den Trafo, der ein Britzeln, eine Rauchwolke und dann eine Stichflamme
abgibt, die im Regal darüber eine sündteure Fresnell-Linse springen
lässt, deren Trümmer den anderen Kaffeebecher vom Tisch fegen.
Er fällt mir auf den Fuß.
Au! sage ich. Dann zeigt Steffen mir die Messungen. Es hat
funktioniert!
Wunderbar, fasse ich das Ergebnis zusammen und packe den Chaosgenerator
ein. Übrigens, deine Haare sind angesengt.
Oben werfe ich einen Blick in die Wohnung. Offensichtlich ist die Kaffeemaschine
explodiert und hat die gesamte Küche mit Kaffeeschmodder überschüttet.
Im Wohnzimmer ist anscheinend nur ein Bücherregal umgefallen, aber
im Schlafzimmer hat sich der gesamte Inhalt meines Kleiderschrankes über
das Bett verteilt und dort mit den Scherben der zersprungenen Lampe gemischt.
Im Flur will ich einen Blick in den Spiegel werfen, was aber nichts bringt,
weil in ihn großflächig ein Apfelmännchen-Fraktal eingeätzt
ist.
Erinnere mich daran, dass ich meine Haushaltshilfe anrufe,
sage ich zu Steffen. Die Rechnung geht an Charlotte.
Draußen wirkt alles normal, allerdings lautet mein Namensschild
jetzt 'eilnrSttü'. Und eine Amsel auf der Dachrinne sieht mich vorwurfsvoll
an. Anscheinend findet sie, dass ihr Flamingorosa nicht steht.
Der Wagen bringt uns wieder zum Hotel. Dort haben sie das Büro eine
Etage tiefer verlegt.
Es breitet sich nach unten aus, erklärt Charlotte. Hier
fängt es auch schon an. Sie zeigt auf Sand, der auf dem Teppich
verstreut ist und sich langsam kriechend zu einem Kegel ordnet.
Das werden wir jetzt beenden, sage ich entschlossen, nehme
den Chaosgenerator und steige die Treppe hoch. Steffen folgt mir.
Im Konferenzsaal sind die Stühle dabei, sich ordentlich um den Tisch
aufzustellen. Ich gehe ihnen aus dem Weg, lege den Generator auf den Tisch
und stelle ihn ein. Dann hole ich tief Luft. Steffen hält meinen
Irrealitätsdetektor, bereit für die Messungen.
Wünsch mir Glück, sage ich. Los! Dann
drücke ich den Knopf.
Unter mir gibt es einen Ruck, als wenn mir jemand den Teppich wegzieht. Ich falle. Dann ein Krachen, und alles versinkt in grauweißem Staub.
Einen Augenblick später versuche ich hustend auf die Beine zu kommen.
Steffen hilft mir. Rundum ist alles von feinem Staub bedeckt. Das
war die Stuckdecke, sagt Steffen und zeigt nach oben. Wir beugen
uns über die Messungen.
Sieht gut aus, meine ich. Die Ordnung ist erledigt,
nur noch ein halbes Dutzend verirrter Chaoswirbel.
Um die kümmere ich mich, ruft Steffen. Ich nicke, und
er verschwindet voller jugendlichem Tatendrang.
Unten im Büro nimmt Charlotte über ein Headset offensichtlich
Berichte von allen Seiten entgegen. Man bietet mir Kaffee an, aber ich
bitte um Orangensaft und eine Kleiderbürste. Jemand treibt
beides auf.
Nach ein paar Minuten ist auch Steffen wieder da.
Chaoswirbel vernichtet, berichtet er. Offensichtlich
keine größeren Schäden. Es gab eine Wasserhose in der
Spülküche, ein antiker Perserteppich strahlt jetzt in Bonbonfarben,
alle Computer sind abgestürzt, und die Feuerlöscher sind vergoldet.
Sieht sehr edel aus. Ach ja, und überall findet man Apfelmännchen-Muster.
Ich kann keine Fraktale mehr sehen, grummle ich.
Dann solltest du den Pullover wechseln.
Ich blicke nach unten. Über das tiefschwarze Mohair zieht sich eine
Art neongrüner Farnranke.
Die dazugehörige Julia-Menge, verkündet Steffen
fröhlich.
Bei den Konferenzteilnehmern gab es eine Krawatten-Vertauschung,
schaltet Charlotte sich ein. Anscheinend trägt jetzt jeder
die Krawatte eines anderen. Im Moment tauschen sie zurück, und das
hat das Verhandlungsklima merklich gehoben.
Wie schön, sage ich und stehe auf. Dann können
wir ja jetzt gehen.
Komm mit zu mir, bietet mir Steffen an, du kannst bleiben,
bis deine Wohnung wieder bewohnbar ist.
Ich nehme dankend an, und wir brechen auf.
© P. Warmann