Ich kam in das große Zimmer, das unser Wohnzimmer war und noch
mehr, und fand Meister Wang dabei, wie er ein Schwert polierte. Es war
eines von diesen langen, schlanken chinesischen Schwertern. Er benutzte
einen Lederlappen und strich damit über die Klinge, langsam und sorgfältig,
immer in eine Richtung. Eine lackierte Schwertscheide lag neben ihm.
Ich sah ihm eine Zeit lang zu und sagte dann: Es sieht aus, als
wäre es ziemlich scharf.
Oh ja, antwortete er ohne aufzusehen. Scharf und tödlich.
Man kann damit einen Menschen mit einem Schlag in zwei Hälften teilen,
von der Schulter zur Hüfte.
Kannst du damit umgehen?
Er sah zu mir herüber. Ja, das kann ich. Ich habe mich eine
lange Zeit der Schwertkunst gewidmet, und man könnte sagen, dass
ich darin eine gewisse Meisterschaft erreicht habe.
Er stand auf, trat in die Mitte des Raumes und hob das Schwert. Mit langsamen,
eleganten Bewegungen fing er an, schwang das Schwert, hielt es ganz ruhig,
drehte sich, wurde schneller, erstarrte ganz plötzlich in einer Stellung.
Ich sah ihm fasziniert zu. Wie alles, was Meister Wang tat, sah auch dies
ganz leicht aus, aber ich konnte erkennen, dass es das nicht war. Er wirbelte
das Schwert über seinem Kopf, stieß es vor, führte einen
Schlag gegen den eingetopften Bambus und stoppte die Klinge Millimeter
vor dem ersten Halm.
Ich bin beeindruckt, sagte ich, und das war ich auch.
Ach ja, meinte er, ich kann noch immer wie ein Schwertkämpfer
denken.
Er musterte mich kritisch, kam zu mir herüber und sagte: Halt
still.
Dann hob er das Schwert und ließ es auf mich heruntersausen. Ich
hielt still. Wenn Meister Wang eine direkte Anweisung gibt, ist es eine
gute Idee, sich genau daran zu halten.
Das Schwert sauste auf meinen Kopf zu, zischte an meinem linken Ohr vorbei
und auf meine Schulter zu. Kurz davor machte es einen kleinen Haken. Ich
spürte eine Berührung, leicht wie von einer Feder, und etwas
schwebte zu Boden.
Meister Wang fing es auf, bevor es den Boden erreichte, und hielt es mir
hin. Es war ein kurzes Stück Faden.
Es sah aus der Naht heraus, und ich dachte, man sollte es abtrennen,
erklärte er.
Muss man dazu ein Schwert nehmen? fragte ich und wunderte
mich, dass meine Stimme nicht zitterte. Wäre eine Schere nicht
sinnvoller gewesen? Oder ein Messer? Im Notfall hätte man es auch
abbeißen können.
In der Tat. Meister Wang hob die Schwertscheide auf und steckte
das Schwert weg. Meisterschaft in einer Sache, was es auch sei,
erreicht man nur, wenn man sich voll und ganz, wenn man sich ausschließlich
darauf konzentriert. Man muss den ganzen Rest der Welt dafür aufgeben.
Und das ist nicht ohne Gefahren.
Wenn ein Mensch Holz mit Axt und Hobel bearbeitet und viele Jahre lang
nichts anderes tut, so wird er tief in die Geheimnisse des Holzes eintauchen.
Er wird Kenntnisse erlangen und Fähigkeiten entwickeln wie wenige
andere Menschen. Seine Arbeiten werden unübertrefflich sein. Aber
für ihn wird die ganze Welt nur noch eine Ansammlung von unregelmäßigen
Oberflächen sein, und er wird nur daran denken, wie er sie glätten
könnte.
Und wenn ein Meister der Schwertkunst vor einem Problem steht, so wird
er wissen, wie er es mit dem Schwert lösen könnte...
Er lächelte. Manchmal nehme ich das Schwert in die Hand, um
mich daran zu erinnern.
© P. Warmann