Polizei.

In der letzten Woche habe ich es viermal mit der Polizei zu tun bekommen, das heißt, nicht ich persönlich, sondern nur, weil ich wohne, wo ich wohne.
Zum ersten: Ich öffne letzten Sonntag das Fenster im Wohnzimmer, da ertönt ein Megafon: ‘Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei.’ (Das sagen die wirklich!) ‘Die angekündigten weiträumigen Absperr- und Evakuierungsmaßnahmen um den Hauptbahnhof finden nicht statt, da sich die Meldung von einem Bombenfund nicht bestätigt hat.’ War wohl Fliegerbombenblindgängerfehlalarm an der Bahnhofsbaustelle. Und ich wusste gar nicht, dass ich evakuiert und abgesperrt werden sollte, weil ich mich weder von Fernsehen noch Rundfunk verfolgen lasse.

Zum zweiten: die Woche hindurch Aushänge und Flugblätter. Irgendein Gericht hat nämlich einer Gruppe Rechtsradikaler gestattet, zwecks Jubiläumsfeier von Hitlers Machtergreifung und allgemeinem Fremdenhass (‘gegen Multikulti’) am Sonnabend vom Bahnhof durch unseren Stadtteil zu marschieren. Direkt an meinem Haus vorbei. Radikale Aufmarschgegner kündigen Störaktionen an. Die Polizei verteilt Postwurfzettel, auf denen steht (sinngemäß) ‘Leider muss die Polizei tun, was die Gerichte anordnen. Wir halten allerdings die Genehmigung der Demo für gequirlten Schwachsinn, denn a) sind wir gegen diese Scheißnazis und b) wird das todsicher einen Riesenärger geben samt eingeschlagener Fenster und blutigen Nasen. Und wer muss das alles wieder auf die Reihe bringen? Wir. Unser Rat: Bleiben Sie im Haus und legen Sie Kinder und Haustiere an die Leine.’ Schließlich noch ein Zettel von der Müllabfuhr, die mitteilt, dass die Ankündigung einer Sperrmüllsammlung für Sonnabend eine Fälschung sei, ‘in Umlauf gebracht, um Material für Barrikaden oder auch Wurfgeschosse zu haben.’ Auch sollen wir alle Mülleimer ‘in eine sichere Zone bringen, damit sie nicht angezündet oder zum Barrikadenbau verwendet werden’.
Nach der ganzen Aufregung war die eigentliche Demo dann eher enttäuschend. Niemand hat Barrikaden gebaut oder irgend etwas angezündet. Nur ein öffentlicher Papierkorb musste dran glauben. Von Barrikadenräumpanzern und Wasserwerfern und ichweißnichtwievielhundert Polizisten geschützt marschierten gut vierzig (es wurde behauptet, es seien hundertzwanzig gewesen, aber das stimmt nicht) Typen vorbei, mit NPD-Plakaten und ein paar Kaiserreich-Fahnen. Auf den Plakaten standen so mitreißende Dinge wie ‘Weg mit dem Teuro – zurück zur D-Mark’ (im Jahre 2005 – da fällt einem das Wort ‘Dummenfang’ ein) und ‘Wahltag ist Zahltag’ (hä?). Außerdem hatten sie einen schnieken Kleinbus mit teurer Megafonanlage, durch die jemand ununterbrochen redete. Es könnten durchaus schwer volksverhetzende Parolen gewesen sein, aber das wird nie jemand wissen, denn er haspelte derart ohne Punkt und Komma vor sich hin, dass man kein Wort verstand. Nur manchmal rief er erkennbar ‘Deutschland den Deutschen – wir sind das Volk’.
Die Gegendemonstranten marschierten auf der Außenseite der Polizeireihen mit und riefen ‘Nazis raus!’ oder manchmal ‘Lasst den Quatsch!’, wenn einer der Ihren mit einer leeren Coladose warf. Und das war schon alles.

Zum dritten: Eines Morgens klingelt das Telefon, und ein Mensch von der Kripo bittet mich, doch zweien seiner Kollegen Tor und Tür zu öffnen, die draußen im Schnee stünden (‘Die Kriminalpolizei bittet um Ihre Mithilfe’?). Ich war mir nicht sicher, ob ich das für einen dummen Scherz halten sollte, ging aber doch zur Haustür. Wo sie tatsächlich standen: zwei Mann mit großen Koffern. Sie wollten zu einem Hausbewohner, sagten sie, und das unauffällig. Wie sich herausstellte, war mein direkter Nachbar gemeint, der allerdings nicht zu Hause war. Keine Ahnung, was der Mann verbrochen haben könnte. Sie haben sich dann wohl mittels Schlüsseldienst Einlass in die Wohnung verschafft und dort auf ihn gewartet.

Zum vierten: Als wenn das alles noch nicht genug gewesen wäre, hörte ich wieder ein paar Tage später jemanden an die Tür der Wohnung unter mir hämmern und ‘Aufmachen, Polizei!’ rufen (ja, auch das sagen sie wirklich!). Das wunderte mich dann doch etwas, denn mein Nachbar unter mir ist ein völlig solider Ingenieursstudent, was also sollte die Polizei von ihm wollen? Das fragte ich mich kurz darauf nochmal, als ich einkaufen ging und sah, dass seine Wohnungstür offen stand und drinnen zwei uniformierte Polizisten recht ratlos wirkten. Als ich wenig später zurückkam, war die Tür wieder geschlossen, und es hing ein handgeschriebener Zettel daran: ‘Herr R., wir mussten leider Ihre Tür aufbrechen und dabei das Schloss zerstören. Den Schlüssel für das neue Schloss können Sie auf dem Polizeirevier abholen.’ Da wird sich der Herr R. aber freuen, dachte ich, wenn er am Wochenende zurückkommt (unter der Woche ist er auswärts zu einem Praktikum).
Und richtig: Am Sonnabend klingelte es bei mir, und ein recht erboster Herr R. erklärte mir, er wolle nur bescheidsagen, er wäre kein Verbrecher oder so etwas. Tatsächlich hatte die Polizei nach einem ganz anderen Menschen mit gleichem Nachnamen (aber völlig anderem Vornamen) gesucht und sich schlicht in der Adresse vertan.

Und wenn ich mir den ganzen Kram ausgedacht und in ein Buch geschrieben hätte, so würde man mir extremen Mangel an Realismus vorwerfen. Ist aber alles wahr.

© P. Warmann