Verhandlungen.

Ich stand in der Kaffeeküche der Firma, und während ich darauf wartete, dass der Kaffee durch die Maschine lief, unterhielt ich mich mit einem Kollegen.
„Wollten Sie nicht eine Woche Urlaub nehmen?“ fragte er. „Den Frühling in den Bergen erleben, oder so ähnlich?“
„Ja, das hatten wir geplant, aber zum Glück noch nicht fest gebucht“, bestätigte ich. „Firmenintern konnte ich den Urlaub verschieben, aber die diesjährige Lawinensaison werden wir wohl leider verpassen. Schade, es ist doch immer wieder ein majestätischer Anblick, wie sie die Berge hinunterdonnern und Wälder und ganze Dörfer mitreißen. Dafür gönnen wir uns dann vielleicht Waldbrände auf Korsika oder einen kleinen Vulkanausbruch – lassen wir uns überraschen, was dieses Jahr im Angebot ist.“
„Was ist Ihnen denn dazwischengekommen?“
„Meiner Frau geht es nicht so gut.“ Ich sah sein besorgtes Gesicht und wehrte ab: „Nichts Ernstes, aber an Reisen ist im Augenblick nicht zu denken.
Sie war auf einem fünftägigen Internationalen Beschwörerinnen-Kongress im Harz – hochinteressant übrigens. Sie hat einen Spruch gelernt, mit dem man Tapire aus dem Garten fernhalten kann, es gab eine Vortragsreihe über neue Orakelmethoden – wussten Sie, dass in jeder Rolle Tesafilm die Geschicke aller Menschen gespeichert sind und man sie aus der Form der Abrisskante herauslesen kann? –, und sie hat eine Sammlung afrikanischer Gifte mitgebracht, die sie jetzt unbedingt ausprobieren möchte.“
Mein Kollege warf einen misstrauischen Blick in seine Kaffeetasse.
„Jedenfalls endete der Kongress mit einem allgemeinen Hexensabbath“, erzählte ich weiter. „Mit Ochsengrill, bengalischen Feuern, Tanz, einer Orgie und so weiter.“
„Klingt spannend“, meinte mein Kollege.
„Ja, aber im Freien und bei diesen Temperaturen ... da hat sie sich etwas weggeholt.“
„Erkältung?“
Ich verzog das Gesicht. „Hexenschuss.“

In diesem Augenblick erschien unser Chef in der Tür der Kaffeeküche.
„Ach, hier sind Sie,“ sagte er zu mir gewandt. „Wir haben einen von ganz da unten“ – er zeigte mit dem Daumen zum Boden, um anzudeuten, dass er ‘aus der Hölle’ meinte – „hier, mit einem neuen Auftrag. Könnten Sie die Verhandlungen übernehmen?“
„Aber gerne“, sagte ich und begab mich in das kleine Besprechungszimmer, wo der Besucher wartete.

Ich kannte ihn nicht, aber ich kannte den Typ: ein karrieregeiler Jungdämon, frisch geschlüpft und darauf aus, die Karriereleiter immer weiter abwärts zu steigen, mit dem Traum, irgendwann zum inneren Kreis des alleruntersten Chefs zu gehören. Aber im Augenblick arbeitete er noch 36-Stunden-Tage in einer Elf-Tage-Woche (wovon alleine drei Tage lang Mittwoch ist und der Sonntag ganz wegfällt – die Zeit in der Hölle ist eine andere als hier oben) und versuchte sich gegen all die anderen Jungdämonen durchzusetzen, die genau das gleiche Ziel hatten. Und der Konkurrenzkampf zwischen denen ist wirklich teuflisch.
Äußerlich war er von einem Menschen kaum zu unterscheiden. Selbstbewusst saß er da, natürlich in einem teuren Anzug, mit makellos geputzten Schuhen, perfekt gebundenem Schlips und Designerfrisur. Nur Kleinigkeiten verrieten sein wahres Wesen: die leicht geschlitzten Pupillen, die etwas zu spitzen Zähne oder die langen, sehr scharfen Fingernägel.
„Sie haben uns ein Angebot zu unterbreiten?“ begann ich die Verhandlung.
Er schenkte mir ein Haifischlächeln und schob mir eine dünne Mappe herüber.
„Wir schätzen die Arbeit Ihrer Firma ... die Bronchitis-Version, die Sie diesen Winter abgeliefert haben, war wirklich äußerst effektiv. Daher halten wir Sie für die Richtigen, unser neustes Konzept umzusetzen.
Wir sind im Augenblick dabei, unsere Ausrichtung etwas zu verändern, weil wir nicht mehr auf ungehemmten Konsum setzen können...“
„Ah ja, die weltweite Finanzkrise. Das war wirklich ein Meisterstück.“
„In der Tat. Allerdings stammen die Pläne dafür von ganz unten.“
„Man erkennt sofort Seine Handschrift darin“, stimmte ich zu.
„Dieses Konzept ist kleiner“, er schob mir die Mappe zu, „sollte aber ebenfalls sehr ... befriedigende und weit reichende Folgen haben.“
Ich griff nach der Mappe und studierte ihren Inhalt. „Sehr interessant ... das sollte das Freizeitverhalten der Menschen völlig verändern ... jeder wird es einmal ausprobieren wollen, besonders weil man ohne große Kosten einsteigen kann ... und es wird die Leute in begeisterte Fans und erbitterte Gegner spalten ... moralische Einwände ... schwächt die Abwehr gegen viele Ihrer weiteren Angebote ... großartig.
Und wir sollen das Design so ausarbeiten, dass jeder es haben will, es intensiv nutzt und dabei seine Umgebung stärkstmöglich nervt? Sehr schön. Das ist genau das richtige Projekt für uns.“
Er grinste zufrieden. „Dann unterschreiben Sie bitte diesen Vertrag.“
Er zog einen dicken Packen Papier aus seinem Aktenkoffer, der aussah, als wäre er mit Schlangenleder bezogen – ich hielt es aber für die Haut eines seiner höllen-internen Konkurrenten. Dämonen neigen dazu, ihre Differenzen so zu regeln.
Ich schob den Packen zu ihm zurück. „Wir schließen Verträge mit Ihnen grundsätzlich nur zu unseren eigenen Bedingungen.“
Seine Gesichtszüge entgleisten, und er sah mehr denn je wie ein Haifisch aus. „Aber unsere Anwälte haben alle 666 Vertragsbedingungen sorgfältig ausgearbeitet...“
„Ja, genau deswegen bevorzugen wir unsere eigenen.“
Er ließ Vertrag und Mappe im Aktenkoffer verschwinden. „Dann wird aus diesem Geschäft nichts werden.“
Ich lehnte mich lässig zurück. „Das ist bedauerlich, wird aber an unserer Entscheidung nichts ändern.“
Er funkelte mich an – seine Pupillen waren nur noch waagerechte Schlitze –, und ich gestattete mir ein leichtes Lächeln. „Versuchen Sie nicht, mich unter Druck zu setzen. Sie brauchen diesen Abschluss wesentlich nötiger als wir. Unsere Auftragslage ist gut, aber Sie müssen gegenüber Ihren Konkurrenten Punkte machen, sonst sind Sie ganz schnell auf dem aufsteigenden Ast und enden als Moderator-Dämon bei Amateur-Opferfeiern. Oder Sie machen sich Ihre Vorgesetzten zum Feind und landen in Abteilung 13 b.“
„Abteilung 13 b?“ Er wirkte verwirrt.
„Ja. Sie kennen sicher Abteilung 13, in der daran gearbeitet wird, die Hölle noch unerträglicher zu machen?“
Er lächelte. „Dort würde ich sehr gerne arbeiten.“
„Ja, aber das ist 13 a – in 13 b sitzen die Leute, die diese Vorschläge testen müssen.“
Er zischte mich an, und ich sah seine gespaltene Zunge. „Geben Sie her, ich unterschreibe.“ Er setzte sein Zeichen unter unseren Vertrag, in feurigen Lettern. „Aber Ihren Namen und Ihr Gesicht merke ich mir. Ich werde dafür sorgen, dass Sie auf der Weißen Liste landen, ich setze die Höllenhunde auf Ihre Fährte, und ich werde Sie vernichten!“
„Drohen Sie mir nicht“, sagte ich ruhig.
„Was wollen Sie mir entgegensetzen? Ihre Frau ist eine drittklassige Beschwörerin, und ihr Vater verscherbelt magische Bücher, aber...“
„Ja, mein Vater“, unterbrach ich ihn. „Sie haben nicht wirklich genau nachgeforscht, oder? Sein bürgerlicher Name sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, aber dort unten kennt man ihn unter diesem Titel...“ Und ich zeichnete ein Signum in die Luft, bei dessen Anblick ein gewöhnlicher Sterblicher zu Staub zerfallen wäre.
So hart traf es den Jungdämon nicht, aber er krümmte sich und wimmerte: „Jener ist Euer Vater? Jener, der dort unten mit Ihm...“
„Ja“, sagte ich. „Genau jener. Ihnen wünsche ich noch eine unangenehme Heimreise.“ Damit nahm ich die Unterlagen und ging.

© P. Warmann