Der Abgrund.

Ich öffnete die Kellertür, und vor mir gähnte der Abgrund der Hölle. Wortwörtlich. Dort, wo eigentlich der Kellerfußboden sein sollte, war ein bodenloses Loch. Ich blickte vorsichtig hinein: Tief unten sah man rote Glut, und ein leichter Schwefelgeruch stieg auf. Das Loch ging direkt bis zur Hölle durch, ohne Frage.
„Schatz, komm doch mal“, rief ich. „Das solltest du dir ansehen.“
Meine Frau erschien neben mir und fluchte. „Verflixt noch mal! Wie konnte denn das passieren?“
„Da habe ich eine Vermutung“, gab ich ihr zur Antwort. „Du hast mal wieder deine Beschwörer-Werkzeuge nicht ordentlich weggeräumt, die Opferschale war nicht abgedeckt und so eine dämliche Maus ist reingefallen. Das zählte als spontanes Blutopfer, und weil die Sterne richtig standen...“
„Ach, Mist. Was machen wir jetzt?“ Sie spähte in den Abgrund, der den Kellerboden so gut wie ausfüllte. „Ich würde es schließen, aber das meiste von meiner Ausrüstung ist da drüben im Wandschrank. Dass so etwas immer an einem Sonntag passieren muss! Woher soll ich auf die schnelle Ersatz bekommen? Sowieso, bis ich ein ordentliches geeichtes Astrolabium aufgetrieben habe, kann es Wochen dauern...“
Sie sah mich von der Seite an. „Ich nehme nicht an, du möchtest rüberspringen und es rausholen?“
Ich schüttelte mich. „Eher nicht. Da drüben ist auch keine Kante, um ein Brett anzulegen. Na, immerhin einen Vorteil hat die Sache: Das alte Fahrrad sind wir los. Und die Farbeimer auch.“
„Schön und gut, aber wir sollten etwas unternehmen. Wir könnten eine Beschwerde nach ganz unten richten, was meinst du?“
„Willst du dich mit den Anwälten der Hölle rumschlagen? Das möchte ich wirklich vermeiden.“
Ich betrachtete nachdenklich den Abgrund, der diesen Augenblick wählte, um eine schweflige Rauchwolke auszustoßen und sich noch ein Stück auszudehnen. Weitere zehn Zentimeter Kellerfußboden verschwanden direkt vor meinen Füßen.
Ich machte einen langen Schritt nach hinten. „Wir sollten uns schnell etwas einfallen lassen, sonst verschlingt er noch das ganze Haus.“
Meine Frau, mutiger als ich, blieb stehen und beugte sich noch etwas vor, um einen besseren Blick in den Abgrund zu haben. Dann fuhr sie zurück. Etwas sauste mit markerschütterndem Geheul aus dem Loch empor. Ein Dämon. Das hatte uns gerade noch gefehlt.
Er war grün und riesig, so groß, dass er in unserem gar nicht so niedrigen Keller gebückt kauern musste, die Nase – das heißt, die Schnauze, er hatte eine Schnauze wie ein Wildschwein, mit schrecklichen gekrümmten Hauern – die Schnauze also fast auf Kniehöhe. Mit seinen Füßen wie Vogelkrallen klammerte er sich am Rande des Abgrundes fest. Er stieß ein grässliches Gebrüll aus, und vier Arme, bewehrt mit langen messerscharfen Klauen, griffen nach meiner Frau.
Ich versuchte verzweifelt, mir etwas einfallen zu lassen, bevor er meiner Liebsten den Kopf abriss. Das hätte ich mir sparen können.
„Ja, sehr eindrucksvolle Klauen“, hörte ich sie sagen. „Aber du solltest sie wirklich besser pflegen. Du leidest unter Nagelspliss, ist dir das bewusst? Vielleicht solltest du es einmal mit Härter versuchen.“
Sie trat einen Schritt zurück und musterte den Dämon kritisch. „Nun, es wird wohl trotzdem gehen. Am besten fängst du mit der Dachrinne an, sie muss dringend gereinigt werden. Wenn du damit fertig bist, nimmst du dir den Kamin vor – ich denke, den Ruß solltest du abnagen, das wird deine Zähne schärfen, sie können es gebrauchen. Dann ... fällt dir noch etwas ein?“ Sie sah mich fragend an.
Ich betrachtete den Dämon, der vor Verlegenheit ganz gelb angelaufen war. Sein Selbstbewusstsein war nachhaltig erschüttert, und er war auf die Hälfte seiner Größe geschrumpft. Inzwischen konnte er ohne Probleme aufrecht stehen.
„Sehr gute Idee, das mit der Größenveränderung“, lobte ich ihn. „Wir haben Schwierigkeiten mit der Gästetoilette. Wenn du noch etwas schrumpfst, kannst du dir den Abfluss einmal von innen ansehen. Überhaupt solltest du die Rohre auf Ablagerungen überprüfen, und...“
Das war zu viel für ihn. Mit einem Geheul, das nach Backenzahnwurzelabszess klang, stürzte er sich kopfüber in den Abgrund. Wir hörten noch etwas Geflatter, dann war er verschwunden.
Ich sah meine Frau an und sie mich. Dann fuhren wir herum, denn aus dem Abgrund erklang ein tiefes Knirschen. Vor unseren Augen begann er sich zu schließen, erst langsam, dann immer schneller. Nach nicht einmal einer halben Minute war er verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.
Ich machte vorsichtig einen Schritt nach vorne. „Fest wie betoniert“, erklärte ich. „Weshalb war ich eigentlich hier unten? Ach so, Birnenmarmelade.“
Ich nahm sie aus dem Regal. Hoffentlich warteten weitere Vorfälle dieser Art, bis wir mit dem Frühstück fertig waren.

© P. Warmann