Blattglanz-Spray.

Ich stehe im Supermarkt in der Schlange vor der Kasse. Es ist ein eigenartiger Zwischenzustand, eine Art Stand-by, nicht abgeschaltet, nichts erwartend, ohne Aufgabe und doch unter Spannung. Mein Bewusstsein wird seltsam tranceartig, kontemplativ, gesammelt, doch ohne Ziel. Die Zeit fließt langsam, tropft dahin in ungleichem Takt. Die Aufmerksamkeit wandert, verharrt hier und da. Gedanken kommen und gehen, Fragen bilden sich und bleiben unbeantwortet.
Warum kauft jemand sechs große Gläser Kaffeeweißer? Warum heißen Putzmittel Ahorn, Slipeinlagen Fun? Was um alles in der Welt hat sich derjenige gedacht, der ein Toilettenpapier Spagat genannt hat?
Das Pärchen vor mir hat vier Paletten Joghurt pur in seinem Wagen und zwei American-Football-Melonen. Was will es damit? Melonenjoghurt mit ganzen Früchten?
Splitter von Gesprächen werden hörbar, geben keinen Sinn. „Hessen ist schon total weg, aber Nordrhein-Westfalen gibt es noch.“; „Wieso weißt du nicht, wer das weiß?“ „Weiß ich nicht.“
Auf allen Seiten versuchen Dinge meine Aufmerksamkeit zu erregen: Ich soll sie kaufen. Ich will sie nicht. So wird ihr hektisches Gebaren zu einem Geflacker im Hintergrund.
Mein Blick bleibt hängen: Mir wird Blattglanz-Spray angeboten. Früher nahm man für den gleichen Zweck Bier. Beides, auf die Blätter einer Zimmerpflanze aufgetragen, vorzugsweise Gummibaum oder Philodendron, lässt diese schöner glänzen. Hat sich jemals jemand gefragt, ob die dazu auserwählte Pflanze dies wirklich möchte? Doch darum geht es nicht. Die Pflanze als Planze ist unwichtig, was zählt, ist ihr dekorativer Wert.
Ich versuche mir die Frau (denn es wird unweigerlich eine Frau sein) vorzustellen, die dieses Produkt erwirbt. Sie wird sich die Haare tönen und eine Vorliebe für Strickjacken haben. Der Deckel ihrer Toilette hat einen netten flauschigen Bezug, für die Teekanne verwendet sie einen Tropfenfänger. Hat sie ein handgetöpfertes Türschild, eines mit zwei Gänsen, die um ihre weißen Hälse blaue Schleifen tragen?
Solange ich mich im Laden befinde, kauft niemand Blattglanz-Spray, und das, obwohl der Preis auf die Hälfte gesenkt wurde. Das stimmt mich ein wenig froher. Die Welt ist ein besserer Ort, wenn möglichst viele Zimmerpflanzen auch weiterhin von dieser Art Aufmerksamkeit verschont bleiben.

© P. Warmann